Sozialbetrug – Flüchtlingsfamilie hat Sozialhilfe in zwei Ländern bezogen – Vater mit 7er-BMW

Sozialhilfe in zwei Ländern bezogen – Vater mit 7er-BMW mit Ledersitzen um mindestens  50.000 Euro

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Sozialbetrug: Flüchtling im 7er-BMW

Prüfer des Sozialamts deckt Missbrauch mit Transfergeldern auf. Eine Polizei-Taskforce kommt.

Helmuth Toporis, der Kontrolleur  vom Sozialamt, kommt unangemeldet und zu keinen christlichen Zeiten. Wenn er um halb acht klingelt, liegt seine Klientel meist noch im Bett. „Das ist nicht angenehm, aber es muss  sein“, meint der Prüfer, der seit Herbst 2015 die  Angaben und Lebensumstände jener Menschen hinterfragt, die Mindestsicherung beziehen. 750.000 Euro haben Toporis’ Nachforschungen  der Stadt schon gebracht, der Großteil betraf  Möblierungen, der Rest Geldleistungen.

Jetzt bekommt das Sozialamt einen zweiten Prüfer, einen Tischler. „Die Kontrollen rechnen sich, und ein realistischer Blick auf die Dinge hilft auch gegen die Polarisierung der Gesellschaft“, meint Anja Hagenauer, Sozialressortchefin der Stadt.  Die Hilfsnetze, die andere durch ihre Arbeit spannen, werden offenbar zunehmend ausgereizt.  Toporis schätzt die Missbrauchsfälle und -versuche auf „zehn, 15, vielleicht 20 Prozent“.

Kosten durch Zuwanderung

Stadt und Land Salzburg kostete die Mindestsicherung 2017 bereits 45,1 Mill. Euro, plus 31 Prozent seit 2013. Der steigende Aufwand geht auf die Zuwanderung und Asylmigration  zurück (siehe Kasten). So stieg der Anteil der unterstützten Drittstaatsangehörigen und Asylberechtigten nur im Vorjahr um 20 Prozent  (auf 3712 Personen laut  Sozialbericht des Landes) – die Zahl der Österreicher und EU-Ausländer sank dank guter Konjunktur um zehn Prozent (auf 4666 Personen).

Alleinstehende ohne Einkommen, auch Asylberechtigte, erhalten in der Stadt Salzburg mit Mietzuschuss 1027 Euro monatlich – was den österreichischen Frauenpensionen entspricht. Bei den Zugewanderten gebe es  verschiedene Überlebensstrategien, weiß Toporis. Gewissen würde er helfen: „Die zahlen 500 Euro für elende 10-Quadratmeterzimmer und trauen sich nicht aufzumucken.“ Aber er treffe auch auf junge Burschen, „die zu dritt, zu viert in einer  Wohnung leben, wo es zugeht und man sich fragt, warum diese 20-, 24-Jährigen nicht arbeiten?“

Sozialhilfe in zwei Ländern bezogen

Eine syrische Flüchtlingsfamilie mit zwei Kindern bezog in Österreich und Frankreich staatliche Transfergelder. Vater und Mutter hatten Asylanerkennung und Aufenthaltserlaubnis jeweils im anderen Land. Das Sozialamt Salzburg bezahlte in drei Jahren 73.000 Euro – die nun im Rahmen der Betrugsermittlungen zurückgefordert werden.

Die Mutter erklärte, sie lebe allein mit den Kindern. Helmuth Toporis  fiel jedoch irgendwann „ein tolles Auto mit französischem Kennzeichen“ auf, das ständig vor dem Wohnblock parkte. Bei einer irakischen Familie ging es um neue Möbel. Die Eltern von vier Kindern hatten „eine schöne Maisonettewohnung am Gebirgsjägerplatz“ angemietet.

Prüfer Toporis wollte das noch vorhandene Mobiliar in der alten Wohnung sehen. Der Familienvater zögerte. Ein Rad wie der Prüfer hatte er nicht, mit dem Obus wollte er nicht. Am Ende ging man in die Tiefgarage, „wo ein 7er-BMW mit Ledersitzen um mindestens  50.000 Euro stand“ (Toporis) – das Auto eines Freundes, wie der Iraker versicherte. Was gelogen war.  Die Causa ist gerichtsanhängig, die Familie lebt nun ohne Hilfe vom Amt.

Ein Salzburger Pensionistenehepaar wollte  ein neues Bett. „Beide waren korpulent, er wiegt 140 Kilo.“  Tatsächlich gab es bereits ein eigenes Bett für den Mann.

Vermögende Eltern im Irak

Ab Jänner 2019 wird  auch die Salzburger Polizei den Sozialleistungsbetrug bekämpfen. Die Taskforce geht auf eine Tiroler Fahndungsgruppe zurück, die seit 2017 den Missbrauch rund um e-Card, AMS-Gelder und Sozialleistungen des Bundes erfolgreich aufdeckt.

Das FPÖ-geführte Innenministerium hat das Bundeskriminalamt mit dem Projekt beauftragt. „Unser Konzept liegt vor, wir warten noch auf eine Antwort aus Wien“, sagt Salzburgs Polizeisprecher Michael Rausch. Zuletzt zeigten Salzburger Polizeibeamte einen  Iraker wegen Verdachts des gewerbsmäßigen Betrugs an. Der 25-jährige Asylbewerber fuhr  ein Auto um 30.000 Euro  und hatte 25.000 Euro bis sogar 66.000 Euro auf seinem Bankkonto. Geld von seinen vermögenden Eltern.

Hausbesitzer belog Amt

Die Sozialabteilung der Stadt bringe pro Jahr „fünf bis zehn gravierende Fälle“ vor Gericht, sagt Abteilungschef Winfried Wagner. Zuletzt traf es einen Salzburger Pensionisten, der in einer Genossenschaftswohnung in der Alpensiedlung eine Airbnb-Vermietung aufzog. Oder auch einen Salzburger, der sich 60.000 Euro vom Sozialamt erschlich. Er besaß ein Haus,  was er verschwieg, weil er  bei der Heirat den Namen seiner Frau annahm.

 

Familie mit vier Kindern: 3100 Euro netto

308.000 Personen erhielten bundesweit 2017 knapp eine Milliarde Euro Mindestsicherung (Grundbetrag sind 863 Euro pro Person). Das FP-Sozialministerium plant umstrittene Kürzungen für Flüchtlinge. Politischer Sprengstoff ist die Höhe des arbeitslosen Einkommens, das vor allem bei kinderreichen Familien weit über dem liegt, was man im Schnitt durch Arbeit in Österreich verdient. Ein Paar mit vier Kindern bekäme in Salzburg 3164 Euro netto (2345 Euro laut Mindestsicherungsrechner sowie   819,30 Euro Familienbeihilfe inklusive Absetzbetrag laut Online-Rechner des Familienministeriums). In Salzburg bezogen im Vorjahr 14.408 Personen zumindest vorübergehend Sozialhilfe, 8873 Personen lebten ganzjährig davon. Der Anteil der Ausländer und Asylberechtigten stieg auf 40 Prozent (2013: 22,7 Prozent).

Von Sonja Wenger, 26. November 2018 Schlagwörter: Mindestsicherung, schärfere Kontrollen, Sozialbetrug
https://www.salzburger-fenster.at/2018/11/26/sozialbetrug-fluechtling-im-7er-bmw/
Tags: Gesetze Österreich – Justiz

Hoffnungen der Väter sind berechtigt

«Die Hoffnungen der Väter sind berechtigt»

Bundesrichter Nicolas von Werdt weiss, wie die alternierende Obhut von Kindern bei getrennten Eltern klappen soll.

«Der Wunsch des Kindes muss berücksichtigt werden», sagt Bundesrichter Nicolas von Werdt. Foto: Franziska Rothenbühler

«Der Wunsch des Kindes muss berücksichtigt werden», sagt Bundesrichter Nicolas von Werdt. Foto: Franziska Rothenbühler

Seit Anfang 2017 gilt das neue Unterhaltsrecht. Damit wird eine Alimentenpflicht auch für ledige Betreuungspersonen eingeführt (Betreuungsunterhalt) sowie die alternierende Obhut, die geteilte Kinderbetreuung bei getrennt lebenden Eltern. Die Gerichte müssen diese prüfen, wenn ein Elternteil oder das Kind dies verlangt. Das Parlament betonte damit das Recht des Kindes auf eine Beziehung zu Vater und Mutter.

Einen Anspruch auf alternierende Obhut gebe es aber nicht, schrieben die Zürcher Gerichte in ihrem Leitfaden zum neuen Unterhaltsrecht.

Anders äussert sich nun Nicolas von Werdt, Präsident der zuständigen Abteilung am Bundesgericht. Seiner Ansicht nach muss die alternierende Obhut ermöglicht werden, wenn sie gewünscht wird und die vom Bundesgericht definierten Kriterien erfüllt sind.

Die Zürcher Gerichte haben einen Leitfaden für das neue Unterhaltsrecht verfasst. Was halten Sie davon?
Es ist gut, dass sich die Gerichte vor Inkrafttreten eines Gesetzes Gedanken machen, nach welchem Muster die Fälle behandelt werden sollen. Es muss aber jeder Fall einzeln geprüft werden. Problematisch wäre es, wenn sich ein Gericht im Urteil auf den Leitfaden berufen würde. Es geht ja darin vor allem um technische Details wie die Berechnung des Betreuungsunterhalts.

Manche Juristen kritisieren das neue Unterhaltsrecht als zu offen formuliert. Wie sehen Sie das?
Als Richter hätte ich mir präzisere Vorgaben gewünscht. Es gibt jährlich 16’000 Scheidungen, viele davon mit Kindern. Rund 500 Fälle landen am Bundesgericht, das sind vergleichsweise wenig. Und zwar deshalb, weil sich die Parteien an der klaren Rechtsprechung orientieren können. Die Gesellschaft hat insgesamt ein Interesse an klaren Regeln, weil nicht jeder Disput vor Gericht ausgetragen werden soll. Nur die hochstrittigen Fälle kommen ans Bundesgericht. Wir fällen die Leiturteile anhand von ausserordentlichen Konstellationen. Deshalb wird es nun eine Weile dauern, bis wieder Klarheit herrscht.

Die Zürcher Gerichte wollen gemäss dem Leitfaden jedenfalls bei getrennten Ehegatten an der 10/16-Regel festhalten. Der Bundesrat will, dass diese Regel überdacht wird. Was sagen Sie?
Die 10/16-Regel besagt, dass der bisher hauptbetreuende Ehegatte erst dann eine Erwerbstätigkeit aufnehmen muss, wenn das jüngste Kind 10-jährig ist; zunächst teilzeitlich und ab dem 16. Altersjahr voll. Diese Regel wurde im Interesse desjenigen Ehegatten entwickelt, der auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet hat, um die Kinder persönlich zu betreuen. Es ging um den Schutz des Vertrauens, das ein Ehegatte auf die Fortsetzung der während des Zusammenlebens gemeinsam vereinbarten Arbeitsteilung haben soll; Gedanken an das Kindeswohl standen nicht im Vordergrund. Ich stelle fest, dass das Bundesgericht in den letzten Jahren keinen Entscheid aufgehoben hat nur, weil von dieser Regel abgewichen wurde. Die Gesellschaft hat sich entwickelt. Meine persönliche Prognose ist, dass diese Regel fallen wird.

Der Bundesrat verlangt dies quasi in seiner Botschaft. Wie stark sind die Gerichte daran gebunden?
Ich nehme die Botschaft ernst. Wir haben am Bundesgericht die Aufgabe, neue Grundsätze zu prüfen, die sich für eine Regel eignen. Etwa die deutsche, wonach die persönliche Betreuung nur in den ersten drei Lebensjahren des Kindes im Vordergrund steht, nachher die Kita. Die schweizerische Sozialhilfekonferenz hat diese Grenze per Anfang 2017 sogar auf ein Jahr heruntergesetzt. Wenn das Kind einjährig ist, gilt eine Erwerbsarbeit grundsätzlich wieder als zumutbar. Es ist nun an der Rechtsprechung, ein neues Modell zu entwickeln.

Wird mit dem neuen Gesetz die Berufstätigkeit beider Elternteile gefördert?
Dies darf keine primäre Rolle spielen, die Maxime ist das Kindeswohl. Das Unterhaltsrecht besagt aber, dass die persönliche Betreuung gegenüber der Fremdbetreuung nicht vorzuziehen sei. Damit fördert das Gesetz im weiteren Sinn die Berufstätigkeit der Frauen. Die Mütter sollen demnach arbeiten, wenn sie können. Das ist aber ein Widerspruch zum Betreuungsunterhalt, der gleichzeitig eingeführt worden ist. Denn wenn die Mutter arbeitet und für ihren eigenen Unterhalt aufkommt, hat sie keinen Anspruch auf Betreuungsunterhalt. Dann müssen nur die Kosten für das Kind und dessen Fremdbetreuung aufgeteilt werden. Zentral wird deshalb die Frage sein, wann es der hauptbetreuenden Person unter dem Aspekt des Kindeswohls zuzumuten ist, dass sie wieder arbeiten geht, und ob es quasi ein Wahlrecht gibt, ob sie das Kind selber betreuen will oder nicht. Die Gerichte müssen definieren, ob es dieses Wahlrecht gibt, und wenn ja, bis zu welchem Alter des Kindes.

«Der Wunsch des Kindes muss mitberücksichtigt werden.»

Den Begriff «Kindeswohl» hört man oft. Wissen die Gerichte, was dem Wohl des Kindes dient?
Es gibt Extremsituationen, in denen man es klar sagen kann. Etwa, wenn Gewalt im Spiel ist. Oder bei einem behinderten Kind, das eine gute persönliche Betreuung braucht. Aber sonst ist es schwierig. Kinderpsychologische Studien besagen Sachen, die Sie nicht gern hören würden. Etwa, dass bei Kindern mit Migrationshintergrund Fremdbetreuung von Vorteil ist. Weil sie dann integriert werden und nicht in ihrer Kultur haften bleiben. Oder dass man Kinder von weniger intelligenten Eltern besser von Dritten betreuen lässt als von den eigenen Eltern. Solche Kriterien werden höchstens in Extremsituationen in unsere Rechtsprechung fliessen.

Die Väter machen sich Hoffnungen, weil die alternierende Obhut neu gefördert werden soll. Wie berechtigt sind diese Hoffnungen?
Sie sind sehr berechtigt. Das Bundesgericht hat im letzten Herbst in zwei Leiturteilen die Kriterien dargelegt, anhand deren gemessen werden soll, ob die alternierende Obhut angezeigt ist: Erziehungsfähigkeit, geografische Distanz, bei kleinen Kindern die Möglichkeit der persönlichen Betreuung, Kooperationsfähigkeit und der Wille des Kindes.

Wird das Kind befragt?
Ja, das haben wir im Leiturteil so festgelegt. Der Wunsch des Kindes muss mitberücksichtigt werden. Man muss aber prüfen, ob dieser Wunsch echt ist oder beeinflusst. Denn jedes Kind in einer Trennungssituation ist in einem Interessenkonflikt. Es hat vermutlich beide Eltern gleich gern und will keinen enttäuschen. Der Wille des Kindes kann nur mittels Befragung durch eine Fachperson eruiert werden. Das neue Familienrecht wird vermehrt dazu führen, dass man den Kindeswillen abklärt.

Ein heikler Punkt ist wohl die Kooperationsfähigkeit. Wenn sich ein Elternteil querstellt, kann er die alternierende Obhut verhindern?
Der Umstand, dass sich ein Elternteil gegen eine geteilte Obhut wehrt, reicht nicht aus, um auf die Anordnung der geteilten Obhut zu verzichten. Sonst hätten wir ein Vetorecht, das wollen wir nicht. Doch wenn sich Eltern grundsätzlich und in anderen Kinderbelangen systematisch bekämpfen, ist die alternierende Obhut unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls fragwürdig.

Wenn ein Elternteil die alternierende Obhut nicht will, muss er also Obstruktion betreiben?
Das würde man merken, und solches Verhalten würde nicht geschützt. Wenn sich ein Elternteil nicht dem Kindeswohl entsprechend verhält, ist seine Erziehungsfähigkeit infrage gestellt. Diese wiederum ist Voraussetzung für die Zuteilung auch der alleinigen Obhut.

Wurde die Erziehungsfähigkeit schon einmal abgesprochen wegen Nichtkooperation?
Ja. Aber es braucht viel dafür. Wir hatten einen Fall, bei dem eine Frau verwarnt wurde, weil sie ihr Kind vom Vater abzuschotten versuchte. Die Bindungstoleranz, also die Bereitschaft eines Elternteils, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu fördern, ist Bestandteil der Erziehungsfähigkeit.

Bei der Frage, wer die Kinder wie häufig sehen darf, ist Stabilität oft ein wichtiger Faktor. Da haben doch die Väter schon verloren – es gibt ja keinen Vaterschaftsurlaub.
Der Mutterschaftsurlaub allein begründet noch keine stabilen Verhältnisse. Die Frage ist, wie die Rechtsprechung mit Fällen umgehen soll, in denen die Väter während der Beziehung die Kinder nicht betreut haben, dies jedoch nach der Trennung tun wollen. In diesen Fällen kommt es darauf an, was die Beweggründe des Vaters waren. Warum hat er davor keine Betreuungsarbeit geleistet, warum will er jetzt? Wenn er beispielsweise voll erwerbstätig war, damit es der Familie finanziell gut geht, obwohl er die Kinder vielleicht gern mitbetreut hätte, dann fällt mit der Trennung seine Hauptmotivation für die Erwerbstätigkeit weg: die Familie. So scheint es legitim, wenn er sein Erwerbspensum reduziert und dafür sorgen will, weiterhin Kontakt zu den Kindern zu haben. Anders sähe es aus, wenn seine Erwerbstätigkeit ausschliesslich karrieristisch motiviert war oder wenn der Vater nur deshalb selber betreuen will, um weniger Unterhalt bezahlen zu müssen.

«Weil wir keine Studie als die richtige anschauen können, müssen wir jeden Einzelfall beurteilen.»

Das Gesetz besagt lediglich, dass die alternierende Obhut auf Wunsch geprüft wird. Laut den Voten im Parlament soll sie aber gefördert werden. Müssen die Gerichte die Materialien berücksichtigen?
Sie müssen sie berücksichtigen. Doch bei der alternierenden Obhut sollten sie nun auf unsere Rechtsprechung abstellen. Das Bundesgericht hat deutlich gesagt, worauf es ankommt.

Muss die alternierende Obhut auf Wunsch verordnet werden, wenn die Kriterien erfüllt sind? Oder können die Gerichte auch sagen: Es läuft doch ganz gut so, also lassen wir das Kind bei der Mutter?
Meine Prognose ist, dass man die alternierende Obhut ermöglichen muss, wenn sie gewünscht wird und die Voraussetzungen gegeben sind. Die Stabilität ist dabei lediglich ein Hilfskriterium.

Kann die alternierende Obhut in strittigen Fällen deeskalierend wirken?
Es gibt Studien, die das sagen. Doch weil wir keine Studie als die richtige anschauen können, müssen wir jeden Einzelfall beurteilen. Wo es keine Geldsorgen gibt, funktioniert die alternierende Obhut grundsätzlich besser. Manche sagen, mit höherem Bildungsniveau funktioniere sie besser und dauerhafter. Zu verstehen, dass man den Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil fördern muss, braucht eine minimale Intelligenz.

Fehlt den Eltern diese Intelligenz?
Sie ist nicht selbstverständlich, wenn ich unsere Fälle anschaue. Es gibt Personen, die man als intelligent einstufen würde, die aber kein Verständnis dafür haben, dass der Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil wichtig ist. Sie haben ein gestörtes Verhältnis zum Ex-Partner, von dem sie sehr enttäuscht sind, und können das nicht vom Kindeswohl abstrahieren. Wenn die alternierende Obhut wegen fehlender Kooperation nicht möglich ist und einer der beiden Elternteile diese Bindungstoleranz nicht hat, ist es denkbar, dass derjenige die alleinige Obhut bekommt, der den Kontakt zum anderen Elternteil fördert.

Wie wichtig ist es für das Kind, bei Vater und Mutter richtig zu wohnen, sie nicht nur zu besuchen?
Grundsätzlich ist es im Interesse des Kindes – unter der Voraussetzung, dass beide sich Zeit nehmen, sich um das Kind kümmern, sich um eine Beziehung bemühen. Wenn jemand das Kind vor den Fernseher setzt und Bier trinken geht, ist das wohl nicht die Idee.

(Tages-Anzeiger)

Erstellt: 13.03.2017, 21:03 Uhr
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Die-Hoffnungen-der-Vaeter-sind-berechtigt/story/24428591
Tags: Familienrecht – Schweiz  – Kindeswohl – Doppelresidenz – Wechselmodell