Neue Organisation -Scheidungsväter widmen sich dem Kindswohl

Neue Organisation – KiSOS -Scheidungsväter widmen sich dem Kindswohl

Die neue Kinderschutzorganisation Schweiz will geschiedenen Eltern helfen sich zusammenzuraufen – und gemeinsam für den Nachwuchs zu sorgen.

Geschiedene Väter sollen sich ebenso um ihre Kinder kümmern können wie die Mütter, fordert eine neue Organisation. (Bild: Keystone / Martin Ruetschi)
Geschiedene Väter sollen sich ebenso um ihre Kinder kümmern können wie die Mütter, fordert eine neue Organisation. (Bild: Keystone / Martin Ruetschi)

Marcel Enzler (links) engagiert sich seit längerer Zeit für die Rechte von geschiedenen Vätern. (Bild: schickenkaktus.ch)

Enzler engagiert sich seit Jahren für die Rechte von geschiedenen Vätern. Als Präsident des Vereins Vaterverbot orchestrierte er 2011 das Verschicken von Pflastersteinen an Simonetta Sommaruga, um in der Sorgerechtsdebatte Druck auf die Justizministerin auszuüben. Ebenso medienwirksam inszenierten Enzler und seine Mitstreiter die Aktion «Schick en Kaktus»: Behörden, die den Unmut von Scheidungsvätern auf sich gezogen haben, erhalten stachlige Post. Doch nun hat sich der Gesichtspunkt verändert, wie Enzler sagt. «Wir haben uns früher stark auf die Rechte der Väter fokussiert, jetzt wollen wir beide Elternteile einbeziehen.»

Kinder vor Loyalitätskonflikten bewahren

Im Zentrum der neuen Organisation steht das Kindswohl – und für dieses ist laut Enzler elementar, dass nach einer Scheidung sowohl Mutter als auch Vater als Bezugspersonen weiterhin präsent sind. Damit würden Loyalitätskonflikte vermieden. «Es gibt in der Schweiz viele Organisationen, die sich gegen physische Gewalt an Kindern engagieren, aber kaum eine kümmert sich um den seelischen Schmerz von Scheidungskindern», sagt der KiSOS-Präsident. Eine Anlaufstelle für die Kinder selber will die Organisation jedoch nicht sein. Stattdessen appelliert sie an die Eltern und will ihnen helfen, nach der Trennung einen Modus vivendi zu finden. Das fängt in der Gestaltung des Alltags an, auf der neuen Homepage wird es praktische Unterstützung wie einen Betreuungsplaner geben. Um grundsätzliche Fragestellungen soll sich ein Netzwerk von Juristen und Kinderpsychologen kümmern.

Das Ziel ist eine alternierende Obhut, die funktioniert. «In der Schweiz ist das alte Denkmuster noch immer sehr stark, dass sich nach der Scheidung ein Elternteil – meist die Mutter – um die Kinder kümmert, während der Vater bezahlt. Das wollen wir ändern», sagt Enzler. Wie er sich das vorstellt, zeigt ein neues Video. Das propagierte Wechselmodell soll der Mutter ermöglichen, sich beruflich zu entfalten, während der Vater die Chance erhalten soll, die Kinder regelmässig zu sehen.

Nur weil sich ein Ehepaar einst darauf geeinigt hat, dass der Vater für das Einkommen sorgt und die Mutter für die Kinder, bedeute dies nicht, dass es nach der Trennung gleich weitergehen müsse, sagt Enzler. Er nimmt auch die Männer in die Pflicht: «Wir möchten ihnen aufzeigen, wie sie sich auch bei einem 100-Prozent-Arbeitspensum um die Kinder kümmern können – etwa mit der Hilfe von Krippenplätzen.»

Doch die Organisation behält sich in ihren Statuten auch vor, politisch aktiv zu werden und sich der direktdemokratischen Mittel des Referendums und der Initiative zu bedienen. Zudem will Enzler bei KESB-Stellen intervenieren, die das Prinzip der gemeinsamen Sorge nicht mit Nachdruck umsetzen würden. «Wenn die Behörden den Eltern weniger Ermessensspielraum liessen, käme es auch zu weniger Konflikten zwischen Mutter und Vater», glaubt er. Der Ingenieur ist sich bewusst, dass seine Organisation ihre Ziele kurzfristig nicht erreichen kann. «Aber in den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir einiges in Bewegung setzen.»

Video – Kindesschutzorganisation Schweiz – Wechselmodell – alternierende Obhut

 

von Simon Hehli, 16.9.2015, 11:25 Uhr

http://www.nzz.ch/schweiz/aktuelle-themen/scheidungsvaeter-widmen-sich-dem-kindswohl-ld.1989
Tags: Gleichberechtigung Gleichstellung – Familienrecht – Vaterlose Gesellschaft Vaterlose Gesellschaft – Kinderschutz – 

Wenn Kinder zwei Zuhause haben

Doppelresidenz – Wechselmodell
Trennen sich die Eltern, soll nun auch das Wohl des Kindes für die Regelung der Betreuung massgebend sein.

Mami, kannst du mich abholen, ich fühle mich hier gar nicht wohl», flüstere ich in den Telefonhörer. «Schätzlein, du musst dir ein bisschen Zeit geben. Das ist normal am Anfang», sagt meine Mutter in besänftigendem Ton. «Okay, aber wenn es gar nicht geht, kommst du, ja?», frage ich noch leiser. «Selbstverständlich». Ich lege auf und schleiche zurück ins Wohnzimmer.

Ich war zwölf Jahre alt, meine Eltern hatten sich gerade getrennt und ich sollte mein erstes Wochenende im neuen Zuhause von Papa verbringen. Doch die Eingewöhnungsphase war nicht leicht. Zu Hause war eben das Haus, in dem wir aufwuchsen, wo mich ein flauschiges Flanell-Elefanten-Muster zudeckte und wo die alte spröde Schaukel im Garten auf mich wartete.

Anders bei Emely. Sie ist drei Jahre alt und hat zwei Zuhause – das von Mami und das von Papi. Ihre Eltern sind getrennt und leben das Wechselmodell, auch alternierende Obhut genannt.

Das heisst, die Eltern teilen die Betreuung gleichberechtigt auf. Mindestens aber 30 Prozent pro Elternteil, bei Emely ist es 50:50.

Dabei ist das Verhältnis weniger wichtig als die Tatsache, dass das Kind bei beiden Eltern zu Hause ist und nicht zu Besuch. «Ich wollte nicht auf meine Tochter verzichten und nur der Bezahl-Papi sein, wie es oft Standard ist», sagt Emilys Papa. «Er ist ihr Vater und hat genauso das Recht auf sie», sagt die Mutter.

Recht auf gemeinsame Sorge

Seit dem 1. Juli 2014 ist das gemeinsame Sorgerecht nach einer Trennung der Regelfall. Die gemeinsame elterliche Sorge stärkt Väter; sie können durch das Gesetz eher erreichen, dass sie ihre Kinder gleichberechtigt betreuen dürfen. Diese Neuerung bringt Aufwind für die alternierende Obhut.

Vor der Gesetzesrevidierung lebten etwa 5 bis 10 Prozent der betroffenen Familien das Wechselmodell. Die Zahl sollte nun steigen. Laut Martin Widrig, Verfassungsrechtler von der Universität Freiburg, hat der Bundesrat darauf verzichtet, ein bestimmtes Betreuungsmodell zu privilegieren.

Massgebend für die Betreuungsregelung soll neu das Kindeswohl sein. Damit ist nun die alternierende auf die gleiche Ebene wie die alleinige Obhut gestellt. «Wesentlich ist, dass die alternierende Obhut neu auch gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden können soll», erklärt Widrig. Nur so ist gewährleistet, dass die Gerichte die alternierende Obhut anordnen dürfen, wenn sie im Einzelfall die für das Kind günstigste Betreuungsregelung darstellt.

«Hängt die Betreuungsregelung wie bisher nur vom Willen eines Elternteils ab, darf das Gericht das Kindeswohl im Entscheid gar nicht berücksichtigen. Dies verstösst wohl gegen die Kinderrechtkonvention.» Gerichte müssten nun das Wechselmodell prüfen, auch wenn nur ein Elternteil dies verlangt.

«Das gemeinsame Sorgerecht wirkt sich positiv auf das Wechselmodell aus. Die Praxis zeigt, dass es einfacher wurde mit den Behörden», sagt Marcel Enzler, Präsident vom Verein Vaterverbot Schweiz.

Es brauche aber Zeit, bis sich das Volk vom traditionellen Modell «Einer arbeitet, einer betreut» löse. Tatsächlich wird das Familienbild aus den 50er-Jahren immer obsoleter. Die gemeinsame Betreuung der Kinder nach einer Trennung passt in die heutige Gesellschaft, in der auch Frauen 100 Prozent und Männer Teilzeit arbeiten.

Online-Hilfe für Eltern

In der Fachliteratur wird die alternierende Obhut einstimmig als die für das Kindswohl beste Variante betrachtet. Der aktuellste Bericht dazu wurde erst vor ein paar Tagen veröffentlicht: Linda Nielsen, eine führende amerikanische Expertin, fasst in der Fachzeitschrift «Journal of Divorce & Remarriage» alle bisherigen Studien zusammen.

Ihr Fazit: Kinder in einer alternierenden Obhut haben ein besseres emotionales und psychisches Wohlbefinden, sind gesünder, zeigen weniger Verhaltensauffälligkeiten und haben bessere Kontakte mit ihren Müttern und Vätern.

Um diese Betreuung Laien näherzubringen und Eltern den Einstieg zu erleichtern, hat Marcel Enzler die Plattform «wechselmodell.ch» gegründet und gestern aufgeschaltet. Herzstück ist das Online-Tool «Mein Betreuungsplan». Eltern können einen detaillierten Plan erstellen, der ihnen die genaue Aufteilung der Obhut aufzeigt. Der «Stundenplan» mit Farben und Uhrzeiten kann ausgedruckt und von beiden Parteien unterschrieben werden.

Die Distanz zwischen den beiden Wohnorten sollte so klein wie möglich sein. Nur sieben Kilometer entfernt liegen die beiden Zuhause von Emely. «Wir reden miteinander, sind kompromissbereit und flexibel», erklärt der Vater.

«Schliesslich haben wir uns einmal geliebt, wir wollten beide ein Kind. Ich sehe nicht ein, warum einer das Kind haben und der andere nur zahlen soll.» Doch was ist, wenn sich Eltern im Streit trennen? Dann braucht es laut Enzler umso mehr feste Vereinbarungen und einen geregelten Rhythmus. Mit dem Betreuungsplaner möchte er den Eltern den Einstieg vereinfachen.

Ob das neue Recht wirklich zu einem Anstieg der Wechselmodell-Eltern führt, könne nach dieser kurzen Zeit noch nicht beantwortet werden, sagt die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) Zürich auf Anfrage.

Wenn Richter in der Schweiz in Zukunft häufiger eine alternierende Obhut verfügen, folgen sie damit einem internationalen Trend. In anderen Ländern boomt das Modell. Vorreiter ist Schweden. Seit den 90er-Jahren können Richter dort die alternierende Obhut anordnen. Heute leben rund 30 Prozent im Wechselmodell.

Wäre ich im Schweden der 90er-Jahre aufgewachsen, hätte ich vielleicht auch zwei Zuhause gehabt. Ob ich eine noch engere Bindung zu meinem Vater aufgebaut hätte und dies die beste Variante für mein Wohl gewesen wäre, weiss ich nicht. Aber ich hätte bestimmt zwei Lieblingsflanelldecken gehabt. Vielleicht auch zwei Schaukeln.

(Nordwestschweiz)
Aktualisiert um 09:41 von Alexandra Fitz , Quelle:
http://www.aargauerzeitung.ch/leben/leben/wenn-kinder-zwei-zuhause-haben-128559296
Gleichberechtigung – Gleichstellung – Kindeswohl – Trennungskinder – Obsorge – Menschenrechte