Suizidprävention «Es gibt eine grosse Unsicherheit»

Unterstützung von aussen ist für suizidale Menschen und Angehörige von Suizidopfern essenziell.
Unterstützung von aussen ist für suizidale Menschen und Angehörige von Suizidopfern essenziell.

Jeden Tag nehmen sich in der Schweiz durchschnittlich drei Menschen das Leben. Dennoch wird über Suizid und Suizidversuche noch immer wenig gesprochen. Wie kann man gefährdeten Personen helfen? Und was bedeutet ein Suizid für Angehörige?

1037 Menschen waren es im Jahr 2012. 752 Männer und 285 Frauen, die sich gemäss Angaben des Bundesamts für Gesundheit in der Schweiz selbst töteten. Das entspricht mehr (suizid-bedingten) Todesfällen als Personen, die im selben Jahr durch Verkehrsunfälle und Drogen ums Leben gekommen sind. Bei den 15- bis 44-jährigen Männern ist Suizid heutzutage gar die häufigste Todesursache, bei Menschen über 65 ist die Suizidrate in den vergangenen Jahren markant angestiegen.

Klar ist: Wenn sich jemand wirklich töten will, dann wird das niemand verhindern können. Was aber ist mit denjenigen Menschen, die sich in einer Lebenskrise befinden und denen auf den richtigen Weg zurückgeholfen werden könnte?

Der Druck auf die Politik, sich diesbezüglich aufklärend und präventiv aktiver einzusetzen, hat in letzter Zeit zugenommen. Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat im vergangenen Jahr eine Motion von EVP-Nationalrätin Maja Ingold angenommen, die den Bundesrat beauftragt, einen Aktionsplan zur Suizidprävention vorzulegen und umzusetzen.

Hilfe da und dort

Eine wichtige Position nehmen in der Schweiz die etlichen professionellen Hilfsangebote ein, die sich um suizidale Personen und Angehörige von Suizidopfern kümmern. Denn Selbsttötungen haben immer auch beträchtliche Folgen für das Umfeld: Vier bis sechs Angehörige sind im Durchschnitt davon betroffen.

Wie es im Innenleben dieser Menschen aussieht, lässt sich für Aussenstehende oft nur erahnen. Wie soll man mit jemandem umgehen, von dem man weiss, dass sich eine ihm oder ihr nahestehende Person getötet hat?

Eine Hilfestellung hierfür liefert der Austausch mit Menschen, die eine solche Situation bereits durchlebt haben – wie im Fall der österreichischen Journalistin Saskia Jungnikl. Im Juli 2008 tötete sich ihr Vater selbst, was bei den hinterbliebenen Familienangehörigen viele Fragen aufwarf und deren Leben komplett auf den Kopf stellte. Vergangenen Herbst ist Jungnikls Buch «Papa hat sich erschossen» erschienen, das die Österreicherin fünf Jahre nach dem Tod ihres Vaters schrieb, um ihre Gedanken und Erfahrungen zusammenzutragen und zu verarbeiten.

Saskia Jungnikl (Photo: Rafaela Pröll)
Saskia Jungnikl, 1981 in Österreich geboren, ist als Autorin und Journalistin tätig und lebt in Wien und Hamburg. Nachdem ihr Artikel über den Suizid ihres Vaters in der österreichischen Zeitung «Der Standard» eine grosse Resonanz auslöste, veröffentlichte Jungnikl im November 2014 das Buch «Papa hat sich erschossen». (Photo: Rafaela Pröll)

Beobachter: Viele Menschen sind sich unsicher, wie sie mit Betroffenen sprechen sollen, in deren Umfeld sich jemand das Leben genommen hat. Wie hat man Ihnen am besten helfen können?
Saskia Jungnikl: Das Wichtigste war, dass mir meine Freunde gezeigt haben, dass sie für mich da sind. Dass sie mit mir geredet haben, und nicht über mich. Dass sie mir zugehört haben, auch noch Jahre später. Ich bin mir sicher, dass es das Wichtigste ist, hinzugehen und zu zeigen: «Es tut mir leid, was dir passiert ist. Ich bin für dich da. Du bist mir wichtig. Wie geht es dir?» Welche Frage es ist, ist nicht das Entscheidende. Und dennoch kann es passieren, dass der Betroffene nicht reden mag. Diesen Wunsch sollte man respektieren und sich nicht gekränkt oder verärgert fühlen, sondern einfach erneut nachfragen, sobald man das Gefühl hat, dass es passt.

Beobachter:
Sie sagen von sich, dass Sie drei Jahre nach dem Tod Ihres Vaters spürten, dass es mit Ihnen bergauf gehe. Können Sie aufzählen, was für Sie im Nachhinein die wertvollsten Stützen in Ihrer Trauerverarbeitung waren?
Jungnikl: Es braucht Austausch und Unterstützung von aussen. Die Gespräche mit meiner Familie und meinen Freundinnen waren unverzichtbar. Insbesondere, weil man sich selbst am meisten unter Druck setzt. Ich habe sehr lang damit gekämpft, dass ich dachte, ich müsse möglichst schnell wieder die Alte werden. Irgendwann bin ich draufgekommen, dass das nie passieren wird. Dass ich nie wieder so sein werde, wie ich vor dem Tod meines Vaters war. Dass dies aber nicht wichtig ist, sondern, dass ich es wieder schaffe, ein glückliches Leben zu führen. Und dann gibt es einen Punkt, an dem man erkennen muss, dass man es nicht mehr alleine schafft und sich besser professionelle Hilfe sucht. Ich habe selber jahrelang eine Gesprächstherapie gemacht und besuche sie auch heute manchmal immer noch. Weil ich weiss, dass es mir gut tut.

Beobachter:
Mittlerweile halten Sie Lesungen und Vorträge ab oder nehmen an Diskussionsrunden zum Thema «Suizid» teil. Wirft Sie die häufige öffentliche Auseinandersetzung um die Selbsttötung Ihres Vaters nicht in Ihrem eigenen Verarbeitungsprozess immer wieder zurück?
Jungnikl: Ich habe vor kurzem geheiratet und am Tag danach musste ich weinen, weil mein Vater diesen Moment in meinem Leben nicht mit mir teilen konnte. Solche Momente der Trauer gibt es immer noch, es wird sie weiterhin geben und ich werde sie mir weiterhin nehmen. Das Buch zu schreiben war für mich das Ergebnis meiner Verarbeitung, das Ergebnis jahrelanger Suche, Recherche und Reflexion. Vielleicht bleibt die Trauer, aber nicht das Hadern mit dem Schicksal. Und eigentlich alle Rückmeldungen auf das Buch sind so positiv, dass es mich wirklich glücklich macht, es geschrieben und Menschen damit geholfen zu haben.

Beobachter:
Was beschäftigt diese Menschen, die sich bei Ihnen gemeldet haben?
Jungnikl: Grösstenteils sind es Menschen, die etwas Ähnliches erlebt haben und nicht darüber reden oder es nicht wirklich begreifbar machen konnten, was in ihnen vorging. Die haben sich in meinem Buch wiedergefunden und sind dankbar. Dann gibt es Menschen, die jemanden kennen, dem so etwas passiert ist und die nun besser verstehen, wie es dieser Person geht. Und dann gibt es solche, die sich selbst töten wollten. Ein 17-jähriges Mädchen etwa schrieb, dass sie sich zum ersten Mal vorstellen konnte, wie es ihren Eltern gehen würde. Sie hat sich nun gemeinsam mit den Eltern Hilfe gesucht. Was generell ganz deutlich zu erkennen ist: Es gibt beim Thema Suizid eine grosse Unsicherheit. Auf allen Seiten.


Das Interview wurde schriftlich geführt.

Wie kann man suizidale Menschen erkennen? Wie helfen?

Es ist oft schwierig zu erkennen, ob jemand suizidal ist. Menschen in Krisensituationen reagieren oft ganz verschieden.

Einige Warnsignale können jedoch das Suizidrisiko aufzeigen:

  • Veränderungen in der Person (Rückzugsverhalten, Apathie, emotionale Labilität)
  • Direkte oder indirekte Suizidandeutungen
  • Frühere Suizidversuche
  • Depression (Schlaflosigkeit, Appetitverlust, Hoffnungslosigkeit, Grübeln, Verlust der Initiative und der Interessen, Konzentrationsstörungen)
  • Mögliche letzte Vorkehrungen (Weggeben von persönlichem Besitz etc.)

 

Was tun?

Wenn Sie um einen Menschen besorgt sind, trauen Sie Ihrem Instinkt – vielleicht haben Sie Recht.

  • Fragen Sie, wie die Person sich fühlt
  • Zeigen Sie Interesse und Mitgefühl
  • Lassen Sie den Betroffenen reden – hören Sie zu
  • Ermutigen Sie ihn, Hilfe zu suchen und mit einer Person seines Vertrauens zu sprechen (ein Freund, ein Nachbar, ein Familienmitglied, Lehrer, Arzt oder auch mit jemandem von professionellen Hilfsstellen wie z.B. der Dargebotenen Hand, der SMS-Seelsorge etc.)

 

Quelle: IPSILON – Initiative zur Prävention von Suizid in der Schweiz

Hier gibt es Hilfe

Das Ende, der Anfang – von Saskia Jungnikl, Journalistin

Das Hoffnungsfrohe im Tod

Suizid im Alter ist ein großes Problem. Rund vierzig Prozent aller Suizide werden von Menschen ab sechzig Jahren verübt. Und es gibt einen großen Geschlechterunterschied: Unter 70-jährigen Männern ist der Suizid etwa dreimal so häufig wie bei Frauen gleichen Alters. Das machen Soziologen in diversen Studien daran fest, dass Männer immer noch als das starke Geschlecht gelten. Die Netzwerke sind bei Frauen eher ausgeprägt, das Sozialleben ist stärker.

Und natürlich gibt es unter den Suiziden jene Zahl an Menschen, die sagen, ich stehe am Ende eines erfüllten Lebens und ich möchte selbst bestimmen können, wie und wo ich sterbe. Dafür entschieden sich in jüngster Zeit etwa der Literaturkritiker Fritz Raddatz oder der ehemalige MDR-Intendant Udo Reiter. Das kann man akzeptieren. Nicht akzeptieren sollte man den Tod jener, die sich am Ende ihres Lebens aus Einsamkeit und Verzweiflung töten – oder aus der Angst heraus, jemandem zur Last zu fallen.

Bei der geführten Debatte um Sterbehilfe und begleiteten Suizid gibt es meistens nur absolute Für und Wider. Vielleicht liegt die Wahrheit in der Mitte. Der Tod ist so individuell wie die Leben, die geführt werden und die Menschen, die sie führen. Eine allgemein gültige Antwort gibt es nicht.

Stattdessen bräuchte es eine Debatte darüber, was unsere Gesellschaft tun kann, um alten Menschen das Gefühl zu geben, keine ungeliebten und nutzlosen Außenseiter zu sein. Wir brauchen Hilfe, Verständnis und Unterstützung für Familien, die mit der Pflege überfordert sind oder sich alleine gelassen fühlen. Wir brauchen gesamt ein besseres Gefühl dafür, dass unsere Gesellschaft nicht nur jene verteidigt und unterstützt, die eine vorzeigbare oder messbare Leistung erbringen. Menschen werden alt. Sie werden gebrechlicher, langsamer und ja, manchmal auch anstrengender. Sie sind dadurch nicht weniger wertvoll. Und wir sollten ihnen auch nicht das Gefühl geben, als wäre es so.

Das Älterwerden und der Gedanke an den Tod kann uns auch zeigen, was wirklich wertvoll ist. Er kann uns zeigen, wie glücklich man über kleine Dinge sein kann, und dass es manchmal vielleicht besser ist, sich auf eine Bank zu setzen um kurz durchzuatmen, als weiter zu hetzen. Er kann uns zeigen, dass wir den Menschen, die wir lieben, besser noch eine halbe Stunde schenken, weil wir irgendwann einmal keine halbe Stunde mehr mit ihnen haben werden. Er kann uns zeigen, dass wir Glück als Glück genießen können, ohne uns Sorgen darüber zu machen, was danach kommt und ob das danach weniger gut ist. Der Tod, er kann uns zeigen, wie wichtig es ist zu leben.

20. März 2015, von Saskia Jungnikl, Journalistin
http://oe1.orf.at/programm/399854

Tags: Familienrecht Familie Suizid – Freitod

Wenn der Vater sich das Leben nimmt – Saskia Jungnikl

Saskia Jungnikl war 27, als ihr Vater sich erschoss. Die österreichische Journalistin hat über ihr ganz persönliches und sehr privates Lebensdrama ein bewegendes Buch geschrieben.

Leute night,  20.2.2015

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Saskia Jungnikl
Tags: Suizid – Selbsttötung – Vater – Tochter –  Tod – Vertrauensbruch – Wut – Hilflosigkeit – Verabschieden – Dem Leben entgegen – Trauer – Verzweiflung – Wut Hass – Schmerz – Unverständnis – Ohnmacht – Selbstwertgefühl – Selbstsicherheit – Wahrheit – Schrei nach Hilfe – Katastrophenfilme – Vereinsamung – Depressionen –  Verlust des Selbstwertgefühl – Bilanz Selbstmord – Ende meines Lebens – sterben –  Männer – Familie – Tötungsart – Medien – Verantwortung – Suizidwellen  – Papageno-Effekt – Einengung – 

Papa hat sich erschossen – Saskia Jungnikl und Psychiater, Psychotherapeut Prof. Matthias Lemke

bei Markus Lanz 11.Feb.2015

Saskia Jungnikl über die Selbsttötung ihres Vaters 

Buch: Papa hat sich erschossen

 
Tags: – Suizid – Freitod – Selbstmord – Tabuthema – Saskia Jungnikl sowie Psychiater und Psychotherapeut Prof. Matthias Lemke – Entfremdung

 

 

 

Saskia Jungnikl, „Papa hat sich erschossen“

Video  

Die Geschichte eines Freitods

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SEIN TOD TEILT MEIN LEBEN IN EIN VORHER UND NACHHER

»Am 6. Juli 2008 kritzelt mein Vater etwas auf einen mintgrünen Post-it-Zettel. Er steigt die Wendeltreppe hinunter in die Bibliothek und holt seinen Revolver. Dann geht er durch den schmalen Gang hinaus aus unserem Haus in den Hof. Dort legt er sich unter unseren alten großen Nussbaum. Ich weiß nicht, ob er dabei irgendwann gezögert hat. Ich glaube, er wird noch einmal tief eingeatmet haben, als er da lag. Vielleicht hat er sich noch kurz die Sterne angesehen und der Stille gelauscht. Dann schießt er sich in den Hinterkopf. Sein Tod teilt mein Leben in ein Vorher und Nachher.«

Hautnah und unsentimental erzählt Saskia Jungnikl über den Freitod ihres Vaters. Sie schreibt über die Ohnmacht, die ein solch gewaltvoller Tod hinterlässt und wie ihre Familie es schafft, damit umzugehen, über Schuldgefühle, Wut und das Entsetzen, das nachlässt, aber nie verschwindet.

siehe: Link zur Buchbestellung

 

Tags: Suizid – Selbstmord – vaterlose Gesellschaft – Entfremdung – PAS – Vater – Tochter

 

Mein Papa hat sich erschossen . . .

Saskia Jungnikl  las am 19.10.2014 im KulturPunkt Hardegg erstmals öffentlich aus ihrem
Buch –Papa hat sich erschossen-.

Infos unter

www.saskiajungnikl.com

Ein Bericht von http://www.videograf.at.
Tags: Suizid – Selbstmord – Buchpräsentation