Feminismus durch Terrorismus?

Warum sich immer mehr Afrikanerinnen dem Dschihad verschreiben

Immer mehr Frauen in Afrika schließen sich terroristischen Vereinigungen als aktive Kämpferinnen an – ein gefährlicher Trend, der den Extremisten in die Hände spielt.

Als drei Frauen im September eine der größten Polizeistationen an der kenianischen Küste betraten, um ein gestohlenes Handy zu melden, ahnte niemand, wie gefährlich sie waren. Der zuständige Polizist bat eine der Frauen, zur Identifikation ihren Schleier zu lüften. Im nächsten Moment sprang eine von ihnen über den Tresen, zückte einen Dolch und stach damit in den Nacken und die Brust des Beamten ein. Später übergoss sie sich mit Benzin. Die anderen beiden Frauen warfen Molotowcocktails in die Station und setzten sie so in Brand. Als die Polizisten den Feuerhagel auf die drei eröffneten, riefen die Täterinnen „Allahu Akbar”, Gott ist groß. Wenig später bekannte sich die Terrorgruppe IS zu diesem bisher gewagtesten Anschlag auf kenianischem Boden.

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Der Polizei zufolge, hätte die Situation jedoch noch schlimmer ausgehen können. Immerhin trugen die Attentäterinnen Sprengstoffwesten. Der Vorfall war ein schwerer Schock für Polizei und Sicherheitsexperten in Ostafrika – nicht nur wegen seines gewagten Ansatzes, sondern auch weil Frauen die Tat verübt hatten.

Der Trend nimmt gefährlich schnell zu: Immer mehr Frauen gehen von der Rolle der IS-Ehefrau und Social-Media-Aktivistin zum tatsächlichen Terror über und werden zu aktiven IS-Kämpferinnen. Es ist eine Strategie, der sich Terrormilizen zunehmend bedienen, um erfolgleich Attentate zu auszuführen. Frauen bieten dabei viele Vorteile. So betreiben sie überzeugendere Propaganda und kommen näher an die Anschlagsziele heran, ohne Verdacht zu erregen. Aus diesem Grund machen sich inzwischen viele Terrorvereinigungen daran, gut ausgebildete junge Frauen mit dem Versprechen zur Selbstentfaltung und dem Kampf „für eine gute Sache“ anzulocken. Die drei Attentäterinnen in Kenia waren zwischen 19 und 25 Jahre alt, hatten ihre sekundäre Schulbildung abgeschlossen und waren bereit, die Universität zu besuchen.

Eine „noble“ Angelegenheit

Laut einem Bericht der kenianischen Regierung vom letzten Jahr hält die Mehrheit der Mädchen, die sich solchen Gruppen anschließen, Terrorismus für eine gerechte, noble Angelegenheit. „Die mit Terrorgruppen sympathisierenden Mädchen sind meist Jugendliche. Sie haben eine romantische Vorstellung vom Leben der Extremisten“, heißt es in dem Bericht. Diese Ergebnisse werden von der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) bestätigt, einem afrikanischen Block aus acht Staaten. Der IGAD zufolge treten in der Tat immer mehr Frauen dschihadistischen Gruppierungen bei, weil diese ihre persönlichen Probleme ansprechen und ihnen ein besseres Leben in Aussicht stellen. „Diese Taktik haben die Terrorgruppen perfektioniert“, meint Dr. Meredith Muli vom Institut für Geschichte, Philosophie und Religion der Egerton University in Kenia. „Hinzu kommt noch der wachsende Einfluss der sozialen Medien auf junge Menschen. Sie verbringen im Durchschnitt acht Stunden am Tag im Internet. Die Mehrzahl von ihnen ist arbeitslos und fühlt sich entrechtet. Es ist ein leichtes Spiel für die Terroristen, ihre Verzweiflung auszunutzen, ihnen Versprechungen zu machen und sie so auf ihre Seite zu ziehen. Auf diese Weise rekrutieren der IS, Al-Shabaab und andere Dschihadisten ihren Nachwuchs.“ Frauen und Jugendliche seien besonders einfach zu trainieren, weil sie Anweisungen leichter annehmen, erklärt Muli.

Diese Theorie würde auch einen weiteren versuchten Terroranschlag im Osten Kenias erklären. Hier hatte im Mai ein medizinischer Praktikant in einem Krankenhaus zusammen mit seiner Ehefrau und einer anderen Komplizin einen biologischen Angriff mit Anthrax ausführen wollen. Der Polizei gelang es jedoch, den Anschlag zu vereiteln. „Wir sprechen hier von Frauen und Mädchen, vor allem Muslima, deren Töchter, Ehemänner und Brüder von kenianischen Sicherheitskräften misshandelt wurden“, betont Abdi Mustafa, ein muslimischer Aktivist aus Nairobi. „Das Verschwinden ihrer Verwandtschaft hat Wut und Rachegelüste in ihnen geweckt. Das macht sie umso tödlicher.“

In Dar es Salaam in Tansania gibt es sogar eine Zeitung für weibliche Dschihadisten: Al Ghuraba. Hier werden interessierte Leserinnen zu Gotteskriegerinnen ausgebildet, lernen wie sie sich zu benehmen und zu kleiden haben, um erfolgreich Anschläge zu verüben.

Vorbildfunktion?

Doch warum interessieren sich Frauen zunehmend dafür, im Zentrum der Angriffe selbst zu stehen? Die Antwort: Sie inspirieren einander. Junge Dschihadistinnen blicken zu ihren erfahrenen Kolleginnen auf, sehen sie als Vorbild. In einem Fall, den die kenianische Regierung im August 2015 untersuchte, hatte eine Lehrerin ihre Schüler für den Beitritt zur Al-Shabaab in Somalia ausgebildet. Sie bereitete die Kinder auf die Reise in das Land vor, wo sie später wieder zu ihnen stieß.

Vor dem Anschlag auf die kenianische Polizeistation sollen die drei Täterinnen in ständigem Kontakt mit Haniya Said Saggar gestanden haben, der Witwe des getöteten Klerikers Aboud Rogo. Die Regierung beschuldigte ihn, leidenschaftlich Jugendliche indoktriniert und für radikale Gruppen rekrutiert zu haben.

Analysten gehen jedoch davon aus, dass die größte Inspiration für viele Frauen die in Großbritannien geborene Samantha Lewthwaite darstellt – auch bekannt als „die weiße Witwe“. Sie entkam den internationalen Sicherheitskräften und soll über ein umfassendes Netzwerk in Kenia verfügen. Ihr Ehemann war Germaine Lindsay, der sich 2005 in einer Londoner U-Bahn-Station in die Luft gesprengt hatte und dabei 26 Menschen mit in den Tod riss. Lewthwaite soll inzwischen in Somalia leben und insgesamt mehr als 400 Menschen auf dem Gewissen haben. „Sie war in der Lage, der Polizeifahndung zu entkommen und nimmt angeblich regelmäßig aktiv an Bombenanschlägen teil, nur um danach wieder zu entwischen und weitere größere Angriffe zu planen. Das scheint viele Mädchen zu inspirieren“, bestätigt Sicherheitsanalyst Dr. Julius Mutomo. „Immer wieder gelingt es der Polizei, Gespräche der verhafteten Mädchen abzuhören oder Material von ihnen in Beschlag zu nehmen. Dabei stoßen sie in den meisten Fällen auf die weiße Witwe.

Ein internationales Phänomen

Der Trend hin zur weiblichen Gottestkriegerin beschränkt sich jedoch nicht allein auf Kenia und Ostafrika. Eine Studie der University of Miami befasste sich mit 40.000 Terrorverdächtigen und kam zu folgendem Ergebnis: „Frauen sind der Klebstoff, der die Organisationen zusammenhält.“ Sie spielen eine aktivere Rolle denn je in Terroraktivitäten, so der Bericht „Women’s Connectivity in Extreme Networks“, der in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlich wurde.

Nach Angaben des britischen Innenministeriums wurden in Großbritannien in den vergangenen zwölf Monaten 36 weibliche terrorverdächtige Frauen inhaftiert. Somit machen sie 14 Prozent der festgenommenen Terrorverdächtigen in diesem Zeitraum aus. 2011 waren es noch zehn Verhaftungen gewesen. „Hier geht es um Psycho-Spielchen. Terroristen haben eine Möglichkeit gefunden, Frauen auf psychologischem Wege für sich zu gewinnen. Und so, wie es im Moment aussieht – wie aktuelle Statistiken auch nahelegen, werden in Zukunft noch weitaus mehr Frauen in terroristische Aktivitäten verwickelt sein“, warnt Dr. Mutomo. „Dieser Trend bereitet den Sicherheitskräften derzeit das größte Kopfzerbrechen.“

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Tags: schwarze Witwe – Selbstmordattentäterinnen – Vollverschleierung