Wenige Monate vor ihrem 18.Geburtstag ist Jacquelines Zukunft ungewiss. Nicht wie bei anderen jungen Erwachsenen, die nach der Schule nicht wissen, ob sie ins Ausland gehen, Jus oder Ethnologie studieren sollen. Jacqueline weiß nicht, ob sie nach ihrem 18. Geburtstag noch eine Wohnung hat, ob sie bis dahin eine Lehrstelle hat und ob sie dann nicht raschest um Mindestsicherung ansuchen muss.
Dabei ist Jacquelines Leben eigentlich in Ordnung. Sie wohnt in Wien, hat die Aussicht auf eine Lehrstelle, Freunde – und ihr Leben ist nach schwierigen Jahren wieder im Gleichgewicht. Dank des österreichischen Staates, der sie mit 15 Jahren aufgefangen hat. Jacqueline wohnt im SOS-Kinderdorf. Sie ist damit ein Mündel der Jugendwohlfahrt. Doch just die Hand, die sie vorher aufgefangen hat, droht jetzt, ihr wieder den Boden unter den Füßen wegzureißen. Denn mit 18 Jahren müssen die Jugendwohlfahrts-Kinder das System verlassen. Ganz egal, ob sie dafür schon bereit sind oder nicht.
„Im Grund sind es zwei Töpfe: Bis 18 Jahre ist die Jugendhilfe zuständig, danach die Sozialhilfe“, erklärt Jacquelines Betreuer Dieter Schrattenholzer. Wenn die Jugendlichen in seine Obhut kommen, vielleicht mit 12, 13, 14 Jahren, oder früher, denkt er schon an deren 18. Geburtstag. Bis dahin gibt es viel zu tun: Er muss die Jugendlichen stabilisieren, mit ihnen ihr Trauma verarbeiten, sie gleichzeitig für ihr Leben nach der Volljährigkeit fit machen: eine Wohnung suchen, Arbeit, Rechtliches klären. „Für Jugendliche sind zwei Jahre eine lange Zeit, für uns Betreuer sind zwei Jahre nichts.“ Wenn die Jugendlichen das Kinderdorf mit 18 Jahren verlassen, muss alles aufgearbeitet sein – auch die Geschichte, die sie erst ins Kinderdorf gebracht hat.
Nicht alle schaffen das. Schrattenholzer erzählt von Jugendlichen, die nach ihrem 18.Geburtstag auf der Straße landen. Obdachlos werden, weil sie es nicht geschafft haben, ihre Wohnung zu halten, auf der Straße landen, kriminell werden. Andere gehen zurück zu ihrer Familie, aus der sie der Staat Jahre davor zu ihrem eigenen Schutz geholt hat. „Dort haben sie die gleichen Probleme wie vorher“, sagt er. Missbrauch, Gewalt, Sucht, Gleichgültigkeit.
Zwar könnten die meisten Jugendlichen um Mindestsicherung ansuchen, doch auch das schaffen viele nicht. Sie scheitern an den komplizierten Behördengängen, an den zwei bis drei Monaten, die die Bearbeitung dauert. Hinzu käme noch falscher Stolz. Wer will schon mit 18 Jahren ein Sozialfall sein?
Deswegen fordern Organisationen wie das SOS-Kinderdorf oder die Diakonie das Recht für Jugendliche, bei Bedarf länger in der Jugendwohlfahrt zu bleiben. Bis maximal 21 Jahre. Das ist schon jetzt möglich. Allerdings immer nur mit Ausnahmegenehmigungen. Und die sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In Wien wird um ein Jahr verlängert, wenn man in Ausbildung steht. In der Steiermark bekommt auch jemand eine Verlängerung, der in keiner Ausbildung ist. In manchen Bundesländern (Salzburg) wird fast immer verlängert, in anderen ist es schwieriger. Auch werden die Verlängerungen nur für einen kurzen Zeitraum vergeben. Ein Jahr gibt es nur einmal in Wien, danach muss alle drei, vier Monate neu angesucht werden. „Man mutet den Jugendlichen zu, immer wieder zu beschreiben, warum sie ein Problem haben, anstatt sie zu erinnern, was sie schon können“, sagt Elisabeth Hauser, Leiterin des Fachbereichs Pädagogik bei SOS-Kinderdorf.
Die Aussicht, mit einer laufenden Ausbildung im System bleiben zu dürfen, ist auch der Grund, warum die Kinderdorf-Betreuer mantraartig ihre Jugendlichen beschwören, eine Lehre anzufangen: „Ohne Lehre kannst du nicht bei uns bleiben“, sagt Schrattenholzer. Was ihn ärgert: „Studien zeigen, dass Österreicher zwischen 22 und 25 beginnen, von zu Hause auszuziehen. Unsere Kinder müssen es mit 18 schaffen.“
Keine Mindestsicherung. Noch dazu, weil nicht für alle Jugendwohlfahrtskinder danach das Sozialsystem bereitsteht. Als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling ins Land gekommen und ohne Staatsbürgerschaft, hätte der 21-jährige Raymond nicht einmal einen Anspruch auf Mindestsicherung gehabt. In seinem Fall hätte das bedeutet: Straße, vielleicht auch zurück zum Vater, zu dem er nicht wollte. „Es hätte schlimm ausgehen können“, sagt er und die Stimme des schlanken, großen jungen Manns wird kurz brüchig.
Dabei hat Raymond alles richtig gemacht. Nachdem er mit seinem Vater von Sierra Leone nach Wien geflohen ist, lernt er Deutsch, geht zur Schule. Sofern es die komplizierte Situation in seiner Familie zulässt. Seit er 14 ist, lebt er im Kinderdorf, bemühte sich um eine Lehre, bekam sie. Trotzdem saß er kurz vor seinem 18.Geburtstag da, gerade einmal im ersten Lehrjahr, und zitterte um eine Verlängerung. „Das war eine schwierige Zeit“, sagt er. Auch wenn ihm seine Betreuer sagten, dass alles gut gehen würde. „Aber man weiß ja nicht, was die (Behörden, Anm.) denken.“ Mehrere Male musste er verlängern, und immer wieder hatte er Angst.
Rund 270 Jugendliche betrifft diese Situation in Wien jedes Jahr, schätzt das Kinderdorf. Das Wiener Jugendamt spricht von 50 bis 80 Jugendlichen, die tatsächlich jährlich verlängert werden. Das Familienministerium weiß von 1250 Jugendlichen zwischen 18 und 21 österreichweit. Eine Zahl, die seit 2008, damals waren es 860, gestiegen ist. Erst vor Kurzem hat das Kinderdorf Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) eine Petition für ihre Forderung mit 5200 Unterschriften überreicht. Langfristig soll die Verlängerung – sie soll nur in Kraft treten, wenn der Jugendliche es braucht – dem Staat Kosten sparen helfen. Ein 18-Jähriger, der zum Sozialfall wird, ist teuer, weil er lang im System bleibt.
Die Notwendigkeit für einen verlängerten Rechtsanspruch sieht das Wiener Jugendamt übrigens nicht. „Jeder, der es braucht, kann länger bleiben“, sagt Jugendamtssprecherin Herta Staffa. „Die Frage ist halt immer, hilft die längere Unterbringung überhaupt“, sagt sie. Wenn jemand in keiner Ausbildung sei und/oder kein Interesse daran zeige, sei die Frage, ob eine Verlängerung eine geeignete Maßnahme sei.
Runder Tisch im Herbst. Im Familienministerium weist man darauf hin, dass die Verlängerung Ländersache sei. Die Familienministerin werde aber einen runden Tisch im Herbst mit den Ländern organisieren, erklärt ein Sprecher. Ob auch eine Gesetzesnovellierung zu einer einheitlichen Praxis beitragen könne, werde sich erst nach der Evaluierung des Gesetzes zeigen. Die Ergebnisse werden für 2017 erwartet.
Raymond jedenfalls hat Glück gehabt. Jeder seiner Verlängerungen wurde stattgegeben. Jetzt ist er 21 und aus dem System entlassen. „Mit gutem Gefühl“, wie Schrattenholzer sagt. Seine Lehre ist fast abgeschlossen, er hat eine Wohnung, bald die Staatsbürgerschaft. Ein Vorzeigefall. Auch, weil so viel hätte schiefgehen können.
Jacquelines Geschichte ist noch offen. Eine Lehre hat sie noch nicht, auch wenn die Chancen gut stehen. Die Zusage für die Verlängerung gibt es erst wenige Wochen vor dem 18. Geburtstag. „Klar habe ich Angst, aber es wird schon alles gut gehen“, sagt sie. Mehr als hoffen bleibt ihr ohnehin nicht.
Die „18plus-Problematik“,wie sie im Fachjargon genannt wird, betrifft Jugendliche, die mit 18 Jahren noch nicht bereit sind, das Jugendwohlfahrtssystem zu verlassen. Organisationen, die Jugendliche betreuen, fordern den Rechtsanspruch für Jugendliche, bis 21 Jahre im System zu bleiben, sollten sie es benötigen. Derzeit muss um eine Verlängerung angesucht werden. Die Kriterien dafür sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In Wien ist eine Lehre de facto notwendig.
(„Die Presse“, Print-Ausgabe, 07.06.2015)
http://diepresse.com/home/panorama/oesterreich/4748651/Jugendwohlfahrt_Zwischen-Absprung-und-Absturz
Tags: Sachwalterschaft – Jugendamt – Vormund – Mündl – Jugendwohlfahrt – Justiz – Jugendliche – Beruf – Wohnung – Selbständiges Leben –
Zu den Zwangssterilisierungen: gibt es für sexuell übergriffige Männer geeignetere Orte, um hilflose lebende Objekte zu finden, in die sie ihre Sexualität erleichtern können, als solche Kinder-KZs? Dass sich derartige brutal-primitive Sexualarchetypen großer Beliebtheit erfreuen, zeigt die Nachfrage nach entsprechenden Filmen und „Dienstleistungen“. Auf auch für Kinder und Jugendliche leicht erreichbaren Internetplattformen für vorgebliche Amateursexfilme ist nachgestellter Kindesmissbrauch genauso ein Hit wie jede Art von Sexdarbietungen, die Brutalitäten und Entwürdigungen zeigen. Je näher diese Szenen an den Sexualfolterorgien dran sind, wie sie sich kurz vor, während und nach der Hitlerei größter Beliebtheit erfreuten, desto eher findet man sie im „Darknet“.
Warum also die Überraschung, als Frau Pohl sich vor fünf Jahren an die Öffentlichkeit wandte?
Wir können in unsere Nächsten nicht hinein sehen. Aber denen besser zuhören, die Menschen so kennen gelernt haben, wie sie leider oft auch sind.
Ein sadistischer Folterer und Massenmörder wird man übrigens nicht einfach so. Eine sexuell übergriffige Borderlinerin als Mutter und ihr männliches Gegenstück, der alkoholsüchtige Schläger als Vater reichen, um aus einem kleinen Jungen mit Potential einen Nazischergen zu machen. Die Verweise im Artikel oben auf die Medikamentengaben eröffnen einen weiteren Untersuchungsgegenstand, nämlich die Menschenversuche durch die Pharmafirmen, die in der NS-Zeit erst so richtig groß wurden und in der Nachkriegszeit zu den „Gewinnern“ gehörten. Zu denken geben sollte, als wie wertvoll notorische Soziopathen, Sadisten und Mörder von Teilen der Gesellschaft erachtet wurden. Elite kann auch Schweinestall sein. Und damit tue ich diesen an sich freundlich-geselligen Haustieren eigentlich Unrecht
http://www.spiegel.de/panorama/zeitgeschichte/ns-verbrecher-klaus-barbie-ich-bin-gekommen-um-zu-toeten-a-489560.html (Klaus Barbies Foltermethoden) http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46414893.html (SS-Orden, Wewelsburg) http://www.spiegel.de/einestages/ss-ordensburg-wewelsburg-a-948715.html (Treffpunkt der Massenmörder)
Erwähnen möchte ich, dass eine der häufigsten Ursachen für durchgängig aggressives Verhalten bei Kindern das Erleben (sexualisierter) Misshandlungen ist. Die Traumatisierungen können zu Impulsdurchbrüchen und unberechenbar erscheinenden Reaktionen führen. Kinderheime, insbesondere solche, in denen als psychisch krank oder behindert eingestufte Kinder untergebracht sind, stellen traditionell eine Art Auffanglager für Opfer von Missbrauch und Misshandlung dar. Die Familien hatten und haben es auf diese Weise leicht, die lebenden Zeichen etwaigen sexuellen Missbrauchs nachhaltig zu entsorgen.
Zudem waren die geschlossenen Einrichtungen bis in die jüngere Vergangenheit regelrechte Selbstbedienungsläden für MissbrauchstäterInnen. Welche durchaus auch Personen von außen einluden. Der Fall des Schwerstkriminellen Jimmy Savile, eines VIPs, ging durch die Presse. Er nutzte die Hilflosigkeit von Kindern aus, die in Krankenhäusern und Heimen untergebracht waren. Die Verantwortlichen halfen den Kindern nicht und zwar, weil sie auf Savile und seine Kumpane angewiesen waren. Als Spender, als Werbeträger. Weniger, weil sie ihnen vertraut hätten. Im Gegenteil: nur naive Erwachsene merken nicht, was mit Tätertypen los ist. Wer selbst schon mal Sex mit einem anderen Menschen hatte, weiß doch, dass das grundsätzlich angenehm sein kann. Aber auch viele buchstäblich dreckige, manchmal auch teuflische Anteile hat.
Diese Ausrede, man habe den TäterInnen vertraut, wird oft vorgeschützt. Genauso wie der Verweis darauf, man hätte „das-gar-nicht-glauben-und-sich-sowas-nicht-vorstellen-können“.
Die Heimträger, darunter die beiden großen christlichen Kirchen, haben ausgezeichnet an den Einrichtungen verdient. Sie bekamen Platzgelder vom Staat und von den Sozialversicherungen, gaben aber kaum etwas für den Unterhalt und die Betreuung der kindlichen Insassen aus. Bei Lichte betrachtet bereicherten sie sich also am Unterhalt von Kinderfolterlagern. Dass sie dies nicht mit dem Image vereinbaren können, was sie so gern von sich verbreiten, ist logisch. Es zeigt aber auch, was die echte und wahre Gesinnung dieser Organisationen ist. Aktuell läuft wieder eine Vergebungskampagne, um die Opfer moralisch unter Druck zu setzen.
Trotzdem regt sich innerhalb und außerhalb der Institutionen Widerstand gegen all zu schnelle und billige Lösungen. Therapie brauchen also nicht nur die Opfer, sondern auch die Gesellschaft in der sie mit uns leben.
Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer von schwerem sexuellen Missbrauch wurden
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