Unfassbare Schlamperei
Polizei verliert Beweise nach Missbrauchsfällen
Bei den Ermittlungen rund um Dutzende Fälle von Kindesmissbrauch auf einem deutschen Campingplatz sind wichtige Beweismittel einfach verschwunden. Ein Koffer, der 155 CDs und DVDs mit möglicherweise kinderpornografischem Inhalt enthielt, wurde offenbar verschlampt. Auf dem Campingplatz „Eichwald“ in Lügde in Nordrhein-Westfalen sollen sich drei Verdächtige an mindestens 31 minderjährigen Opfern vergangen haben – diese Zahl könnte allerdings noch steigen.
Über Jahre hinweg sollen ein 56-Jähriger und zwei weitere Verdächtige Dutzende Kinder missbraucht haben. Die Opfer waren zwischen vier und 13 Jahre alt. Als der Fall publik wurde, wurden nach und nach immer mehr Betroffene bekannt – die Anzahl könnte allerdings noch weiter steigen.
Nun lässt ein handfester Polizeiskandal in Verbindung mit der Causa die Wogen hochgehen: Es wurde bekannt, dass der Exekutive ein Koffer mit Beweismaterial aus einem Büro abhandengekommen war. Der vermutete brisante Inhalt: Kinderpornografie. Nur drei Datenträger konnten von der Polizei vor dem Verschwinden des Koffers ausgewertet werden. „Man muss hier klar von Polizeiversagen sprechen“, kommentierte Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul die Schlamperei laut der Münchner Zeitung „tz“. Der größte Teil des Filmmaterials im Umfang von 15 Terabyte sei von der Polizei aber bereits gesichert worden.
Das ist nicht das einzige Debakel bei den Ermittlungen: „Auch bei der Auswertung ist es zu schweren handwerklichen Fehlern gekommen“, berichtete Reul. „Solche Fehler dürfen auf keinen Fall passieren. Den Opfern und deren Familien kann ich nur sagen, dass es mir unendlich leidtut. Ich bitte vielmals um Entschuldigung“, wird der Landesinnenminister von „Bild“ zitiert.
Raum, in dem Beweise lagen, war nicht gesichert
Der Koffer war am 20. Dezember zuletzt gesehen worden, am 30. Jänner fiel sein Verschwinden erst auf. Der Raum, wo er
sich befunden hatte, sei laut Reul nicht gesichert gewesen. Sonderermittler vom Landeskriminalamt sollen nun herausfinden, wie es zu dazu kommen konnte.
Es ist nicht die erste Behördenpanne, die im Zusammenhang mit den tragischen Fällen für Entsetzen sorgt. Auch das Jugendamt musste Fehler eingestehen: „Ein leitender Mitarbeiter hat die Akte des Mädchens, das in Obhut des Tatverdächtigen war, nachträglich manipuliert“, berichtete Landrat Tjark Bartels. Außerdem war das Jugendamt Hinweisen auf sexuellen Missbrauch im Jahr 2016 nicht nachgekommen.
22-2-2019 11:18
https://www.krone.at/1868997
2.Artikel
Der Fall LügdeMissbrauch auf Campingplatz: „Der Täter hätte viel früher gestoppt werden können“
Mindestens 29 Kinder über einen Zeitraum von zehn Jahren: Der Missbrauchsfall von Lügde erschüttert die Republik. Andreas V. und zwei weitere mutmaßliche Täter sollen sich auf dem Campingplatz tausendfach an den Kindern vergangen haben. Bei stern TV sprachen der Vater von zwei Missbrauchsopfern und eine Täter-Expertin über den Fall.

Auf diesem Campingplatz in Lügde im Kreis Lippe waren Kinder für Pornodrehs missbraucht worden. Drei Tatverdächtige sitzen in Untersuchungshaft.
Der Fall erschüttert ganz Deutschland: So viele Jahre, so viele Kinder – und das unentdeckt von Polizei und Behörden. Nach dem jahrelangen Kindesmissbrauch auf einem Campingplatz in Lügde in Nordrhein-Westfalen wurde die Zahl der bekannten Opfer noch einmal nach oben korrigiert, von 23 auf 29. So viele Kinder zwischen vier und 13 Jahren sollen von den Verdächtigen drei Männern in den zurückliegenden zehn Jahren in eine Hütte auf dem Campingplatz gelockt worden sein, wo sie sich an ihnen vergingen und sogar auch Foto- Filmaufnahmen davon machten. Mittlerweile spricht die Polizei von einem mehr als tausendfachen Missbrauch.
„Es gibt kein klares Erkennungszeichen für diese Täter“
Können Eltern ihre Kinder dennoch schützen?
Inzwischen ermittelt das Polizeipräsidium Bielefeld gegen die örtliche Polizei und das zuständige Jugendamt. Den Opfern ist damit freilich nicht geholfen. Welche Möglichkeiten haben Eltern also selbst, ihre Kinder vor Übergriffen durch Fremde zu beschützen? Und welches psychologische Profil zeichnet den mutmaßlichen Haupttäter Andreas V. aus? Darüber sprach Steffen Hallaschka live in der Sendung mit am Mittwochabend mit Familienvater und Missbrauchsopfer Jens Ruzsitska und der Psychologin und Täter-Profilerin Lydia Benecke: „Es gibt kein klares Erkennungszeichen für diese Täter“, so die Psychotherapeutin. Dennoch konnte Lydia Benecke auf häufige Strategien hinweisen, bei denen Eltern hellhörig werden sollten.
„Der hat den Kindern zwischen die Beine gefasst. Ich habe gesagt: Der ist nicht normal !“
Dabei waren die Polizei Lippe schon 2016 auf mögliche Vorgänge bei dem mutmaßlichen Haupttäter Andreas V. (56) hingewiesen worden. Er hatte auch Kontakt zu den Töchtern von Jens Ruzsitska, den stern TV auf dem Campingplatz in Lügde-Elbrinxen getroffen hat. Ruzsitska berichtet vom Vorgehen von Andreas V. Der mutmaßliche Kinderschänder habe eine perfide Strategie gehabt: Offenbar setzte er seine Pflegetochter als Lockvogel ein, um andere Kinder und deren Eltern kennen zu lernen. So war es ihm möglich mit den Kindern schwimmen zu gehen und an Geburtstagen teilzunehmen. Bei einem dieser Geburtstage lernte Andreas V. die Töchter von Jens Ruzsitska kennen. „Er hat auch mit den Kindern rumgetollt und hatte immer die Angewohnheit, wenn er sie hochgenommen hat, nicht wie ein normaler Mensch unter den Achseln oder an den Hüften anzufassen, sondern immer im Griff zwischen die Beine. Und da hab ich ihm schon gesagt, dass er in meinen Augen pädophil sei“, erzählt der Familienvater. „Als er dann meine Tochter nochmal hochnahm, sie sich auf die Schultern setzte und zu ihr sagte, sie möge den Rock da wegnehmen, hab ich ihn gefragt, warum sie bitteschön den Rock da wegnehmen soll. Und dann meinte er: Er hat gerne kleine, feuchte Mösen am Hals. Dann habe ich Rot gesehen und zugeschlagen!“ Er habe in dem Fall so extrem reagiert, weil er selbst als Kind von einem Mann sexuell missbraucht worden sei.
Nach dem Vorfall auf dem Kindergeburtstag verbot Jens Ruzsitska seinen Töchtern jeglichen Kontakt zu Andreas V. und rief die Behörden an. Er teilte ihnen mit, dass er den Dauercamper für pädophil halte. „Die haben mich etwa drei Tage später zurückgerufen und meinten zu mir, alles sei in bester Ordnung ‚Jugendamt war da, wir von der Polizei waren da, alles in Ordnung. Da ist nichts festzustellen‘.“ Obwohl er die Behörden informierte, fühlt sich Jens Ruzsitska schuldig. Er frage sich immer wieder, ob er alles in seinen Möglichkeiten stehende unternommen hätte.
Jugendamt kontrollierte regelmäßig mit dem Ergebnis: ‚Alles in Ordnung‘
Vor einer Woche dann die erschreckende Meldung: Die Polizei teilte mit, dass sie Andreas V. und zwei weitere Männer festgenommen habe. Der Grund: Neue Aussagen von betroffenen Kindern und einer Mutter. Bei Durchsuchungen stellten die Beamten Computer, Handys, Festplatten und CDs sicher – insgesamt mehr als 13.000 Dateien mit kinderpornographischem Inhalt. „Der erste nachweisbare Fall schweren sexuellen Missbrauchs erfolgte bereits 2008 an einer 8-Jährigen“, so Ermittlungsleiter Gunnar Weiß. Jens Ruzsitska bezweifelt, dass davon auf dem Campingplatz jahrelang niemand etwas mitbekommen haben will. Ein Camping-Nachbar berichtet, er habe selbst ebenfalls die Polizei und das Jugendamt alarmiert. „Das Jugendamt war wenigstens ein, zwei Mal im Monat hier. In Form einer jungen Frau, die kontrolliert hat.“, so der Mann. „Die war regelmäßig hier. Und die sagt immer: ‚Es ist alles in Ordnung‘? Nein, nein, nein.“
Inzwischen bezog Tjark Bartels, der Landrat des Kreises Hameln-Pyrmont, stellvertretend für das Jugendamt Stellung, er sagte: „Das Bild aus dem gesamten Umfeld des Mannes – auch aus der Nachbarschaft, er hat da ja Jahrzehnte lang gelebt – war: Der kümmert sich, der ist da, der ist präsent, der ist sozial wunderbar eingebunden. Das ist das Bild, das nicht nur wir hatten, sondern alle Beteiligten. Das war fatal falsch, aber das ist das Bild, aufgrund dessen diese Entscheidung gefallen ist.“