Wien, 21.11.2014 (KAP) Der Gesetzesentwurf zur Fortpflanzungsmedizin ist kein Fortschritt, sondern stellt im Gegenteil einen „Rückschritt in reine Technikgläubigkeit“ dar: Das hat die Generalsekretärin der „Aktion Leben„, Martina Kronthaler, am Freitag in zwei Gastkommentaren für die Tageszeitungen „Der Standard“ und „Die Presse“ betont. Sie forderte einen ganzheitlichen Ansatz ein und wies auf „vielfältige Risiken für Kinder und Frauen“ hin, die mit den geplanten Neuerungen bei der Reproduktionsmedizin bevorstünden. Auch die Kritik der „Aktion Leben“ an der fehlenden Berücksichtigung des Kindeswohls beim Gesetzesvorhaben erneuerte Kronthaler.
Statt zu fragen, ob ein Gesetz „liberal und fortschrittlich“ ist, müsse seine Prüfung das Wohlergehen aller Beteiligten sichern, betonte die Generalsekretärin. Im Falle von Lockerungen bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) seien damit verbundene Risiken – auch für Einlingsschwangerschaften – jedoch durch Studien hinreichend erwiesen. „Für die Wunscherfüllung eines oder zweier Menschen wird der statistisch voraussagbare Schaden eines Dritten billigend in Kauf genommen“, zitierte die „Aktion Leben“-Generalsekretärin den Präsidenten der Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, Klaus Vavrik.
Ein weiterer Kritikpunkt Kronthalers ist die vorgesehene Altersgrenze von 45 Jahren, bis zu der das Gesetz Frauen die Einsetzung fremder Eizellen erlauben will. Hohes Mutteralter und IVF seien neben Armut und Stress Risikofaktoren für eine Frühgeburt, die heute die Hauptursache für Sterblichkeit bei Kleinkindern sei. Eine „vom Präventionsgedanken geleitete Gesundheitspolitik“ würde keine Altersgrenze festsetzen, die noch mehr Kindern die Belastung einer Frühgeburt zumute. Kronthaler vermutet hier den Einfluss der Geschäftsinteressen von Kinderwunschzentren.
Risiken durch Eizellenspende
Die im Gesetzesentwurf erlaubte Eizellspende sei nicht mit der Samenspende zu vergleichen, zumal sie junge Frauen durch die nötige Hormonstimulation und Punktion Gefahren aussetze, so Kronthaler weiter. Gut aufgeklärte Frauen würden sich dafür nicht zur Verfügung stellen, außer es bestehe „subtiler Druck“ durch Verwandte oder finanzielle Not, worauf auch bereits die im Entwurf vorgesehene „Aufwandsentschädigung“ deute, denn „in anderen Ländern tun dies Frauen vorwiegend gegen Entgelt“. Problematisch sei auch, dass das Gesetz die Aufklärung genau durch jenen Arzt vorsieht, der die Eizellen für seine zahlenden Patientinnen benötigt.
Es helfe Kindern weiters nicht, wie im Gesetz vorgesehen ab 14 Jahren ein Anrecht bloß auf Information über den Namen ihres genetischen Elternteils zu erhalten, nicht aber über die Umstände ihres Entstehens. Kronthaler: „Einer Studie zufolge werden nur 8,6 Prozent der Kinder aus Samenspenden darüber informiert.“ Ein Ernstnehmen der Kinderrechte würde die Verpflichtung zur Aufklärung bedeuten, sei doch aus der Adoptionsforschung längst bekannt, dass Wissen über die Herkunft für die Entwicklung einer stabilen Identität nötig sei.
Verpasste Chance auf Monitoring
Als verpasste Chance des Gesetzesentwurfs bezeichnete es Kronthaler, dass keine Erfolgskontrolle eingeführt wurde, die über die bloße Geburtenmeldung hinausgeht. Erhoben werden müsste etwa, wie es den auf diese Weise gezeugten Kindern später geht, wobei Neonatologen und Kinderärzte bei der Erarbeitung von Kriterien für eine umfassende Dokumentation einbezogen werden sollten. Für mehr Monitoring nach IVF hatte sich zuletzt auch die Vorsitzende der Bioethikkommission, Christiane Druml, in der „Wiener Zeitung“ ausgesprochen.
Insgesamt habe die Gesellschaft verabsäumt dafür zu sorgen, „dass Frauen rechtzeitig ihre Kinder bekommen können und trotzdem Beruf und Ausbildung schaffen“, so Kronthaler: „Warum sagt niemand jungen Menschen, dass ab 35 Jahren die Fruchtbarkeit bei Frauen rasch sinkt? Warum sorgen wir nicht dafür, dass Frauen in jungen Jahren Kinder bekommen können und wollen? Warum vermitteln wir nicht schon in der Schule, dass Fruchtbarkeit keine Last, sondern ein wertvolles Gut ist? Warum interessieren uns die Gründe für die zunehmenden Fruchtbarkeitsprobleme so wenig?“ Die Auslagerung der Antworten an die Fortpflanzungsmedizin führe nur zu neuen Problemen.
Huainigg: „Rasterfahndung“
Auf „zahlreiche Widersprüche, Inkonsequenzen und keine erkennbaren Werte“ im Gesetzesentwurf zur Fortpflanzungsmedizin hat ÖVP-Behindertensprecher Franz-Josef Huainigg hingewiesen. Alle Fragen, die ein auf künstliche Art erzeugtes Kind als eigenständigen Menschen betreffen, lasse der Gesetzesentwurf unbeantwortet, so der Parlamentarier in einem „Standard“-Gastkommentar (Freitag). Er bemängelte zudem, dass für den Entwurf weder Kinder noch Kinderpsychologen, Kinderärzte oder Kinderrechtsexperten befragt worden seien. „Schönes neues Gesetz, aber nichts für Kinder!“, so sein ironisches Resümee.
Die Freigabe von Präimplantationsdiagnostik (PID) unter bestimmten Kriterien stellt laut Huainigg die Frage, ob ein behindertes Kind gleich viel wert ist wie ein nichtbehindertes. Wenn wie im Gesetzesentwurf PID für die ersten drei IVF-Versuche zur Ausforschung schwerer Erbkrankheiten zugelassen und ab dem dritten erfolglosen Versuch in jedem Fall erlaubt sei, so erfolge auf die nach ethischen Gesichtspunkten vorgenommene Einschränkung eine völlige Öffnung. „Hören ethische Fragestellungen nach drei Versuchen auf?“, so Huainigg. Hier werde der „Keim für eine gänzliche Ausweitung der Rasterfahndung nach Menschen mit Behinderung“ gesät.
Die PID-Zulassung werde im Gesetzesentwurf damit begründet, dass behinderungsbedingte Spätabtreibungen vermieden werden können, stellte der ÖVP-Politiker fest. Konsequent wäre das Gesetz folglich erst, wenn es mit der PID-Einführung die Möglichkeit der eugenischen Indikation abschaffe. Was aus Angst vor Behinderung niemand wage – die Abschaffung der Spätabtreibung – fordere er selbst, betonte Huainigg. Zumindest psychosoziale Beratung, Einbindung einer Ethikkommission und eine entsprechende Bedenkfrist zwischen Diagnose und Abtreibung sollten bei Spätabtreibungen – ähnlich wie im Entwurf für die PID vorgesehen – zur Pflicht werden.
Diskriminierung Homosexueller
Entgegen Aussagen der Befürworter mache die im Gesetzesentwurf erlaubte Eizellspende den Weg zur Leihmutterschaft sehr wohl frei, so Huainiggs Urteil, „denn wenn zwei Frauen die Möglichkeit erhalten, ein Kind mit den eigenen Genen zu bekommen, dann stellt es wohl in der Logik des Entwurfes eine Diskriminierung homosexueller Paare dar, denen es verboten bleibt, ein Kind mit eigenen Genen zu haben“. Leihmutterschaft sei jedoch „auf die Spitze getriebene Ausbeutung von Frauen“, die ihre Würde und Menschenrechte zutiefst verletze. In Ländern, wo sie erlaubt wurde und für Frauen Möglichkeit eines Lebensunterhalts darstellt, gebe es dann Aufstand, „wenn bestellte ‚Ware‘ nicht abgeholt wird, weil behindert, womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären“.
Einen zwiespältigen Umgang ortete Huainigg im Umgang mit Biologie und Naturgesetzen. So erkläre das Gesetz zwar die weitere Verweigerung der Samenspende für alleinstehende Frauen damit, „dass Kindern nicht von vornherein nur ein Elternteil zur Verfügung stehen soll“ – durch einen Verweis auf die von der Natur vorgesehenen zwei Eltern. Huainigg: „Dass die Natur dafür auch Frau und Mann vorsieht, ist aber kein Thema mehr.“
Beck: Medizinische Gefahren
Auf mögliche medizinische Gefahren der künstlichen Befruchtung (IVF) – besonders in der vom vorgelegten Gesetzesentwurf freigegebenen Form – hat der Moraltheologe Matthias Beck in der Wiener Kirchenzeitung „Der Sonntag“ aufmerksam gemacht. Künftig soll bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) möglichst nur ein Embryo in die Gebärmutter transferiert werden, um damit Mehrlingsschwangerschaften – welche immer Risikoschwangerschaften sind – zu vermeiden, erklärte Beck, der auch Mitglied der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt ist. Da IVF-Embryonen jedoch zu erhöhter Zwillingsneigung neigen würden, komme es vor, dass ein oder zwei der Embryonen durch gezielten Herzstich mit einer Kaliumchloridlösung getötet werden.
Bestimmte IVF-Methoden wie etwa die direkte Einspritzung eines Spermiums in die Eizelle (ICSI) könnten laut dem Mediziner und Theologen zudem zu späteren Nieren- oder Herzschäden beim Kind führen. „Ein Medikament mit derartiven Nebenwirkungen würde niemals zuglassen werden“, so sein Resümee.
Auch grundsätzlich sei IVF ethisch „nicht ganz unproblematisch“, betonte Beck. Wegen ihrer niedrigen Erfolgsquote von bloß 20 bis 25 Prozent müssten stets mehrere Embryonen hergestellt werden, wofür wiederum eine Hormonstimulation der Frau – um durch diese 10 bis 15 Eizellen zu gewinnen und in Folge durch männlichen Samen befruchtet wird – nötig sei. Diese Stimulation sei riskant, es sei bereits zu Todesfällen gekommen.