Eigene Wohnungen für Patchwork u. Trennungseltern?

Wohnen nach der Trennung Mein, dein, unser Zuhause

Eltern, zwei Kinder, Reihenhaus. Für getrennte Familien passt das nicht mehr. Sie brauchen mehr Raum und flexible Grundrisse. Doch an guten Lösungen mangelt es.

© Plainpicture   Je zersplitterter die Familie, desto mehr Platz braucht sie.

Das Leben der Familie Schäfer ist kompliziert. Herr und Frau Schäfer haben zusammen zwei Töchter, Mia, 12, und Elisa, 15 Jahre alt. Vor vier Jahren haben sich die Schäfers getrennt und leben mittlerweile mit neuen Partnern zusammen – die jeweils eigene Kinder in die Beziehung mitgebracht haben. Außerdem trennen die beiden Patchworkfamilien 560 Kilometer: Mia wohnt bei der Mutter in Berlin, Elisa beim Vater in der alten Familienwohnung in einer kleinen hessischen Gemeinde. Deshalb steigt Elisa seit drei Jahren jede zweite Woche freitagnachmittags ins Flugzeug, um das Wochenende mit Schwester Mia, ihrer Mutter, deren neuem Partner und dessen Kindern in Berlin zu verbringen. An den anderen beiden Wochenenden im Monat macht sich Mia auf den Weg nach Hessen, zu ihrer Schwester Elisa und zur neuen Familie des Vaters.

Wie Familie Schäfer wollen viele Eltern trotz Trennung gemeinsam mit ihren Kindern wohnen und ihr Familienleben gestalten – und wählen dafür bisweilen ungewöhnliche Lösungen. Denn der gemeinsame Raum ist mehr als bloße Wohnfläche, er ist ein Zeichen von Zugehörigkeit. Nur gestaltet es sich in Zeiten steigender Mieten und Wohnungsmangel für diese Familien immer schwieriger, ihren Wohnraumbedarf zu decken.

Auch wenn die meisten beim typischen Familienhaushalt in Deutschland an Vater, Mutter und zwei Kinder im Reihenhaus denken, entspricht diese Vorstellung nicht der Realität. Etwa jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden. Rund 170.000 Scheidungen waren das laut Statistischem Bundesamt hierzulande im Jahr 2013, bei knapp der Hälfte waren minderjährige Kinder im Spiel.

In der Regel lebt ein Kind nach der Trennung hauptsächlich bei einem Elternteil, meist bei der Mutter. Den anderen Elternteil, meist den Vater, besucht es regelmäßig, etwa jedes zweite Wochenende. Neben diesem klassischen Residenzmodell stehen zwei weitere Modelle zur Auswahl: Beim Wechselmodell wohnt das Kind zu ungefähr gleichen Teilen abwechselnd bei Mutter und Vater. Hierzulande ist es die Ausnahme, schätzungsweise fünf Prozent aller getrennten Elternpaare leben so. Die dritte Option ist das Nestmodell: Die Kinder bleiben in der Familienwohnung, während beide Eltern wie Vögel im Wechsel ein- und ausfliegen. Dies sind Idealtypen, im Alltag probieren Familien Mischformen aus und passen sie immer wieder an ihre Lebenssituation an – die Lösungen sind so individuell wie die Familien selbst.

Wechselmodelle immer beliebter

„Wir gehen aber davon aus, dass das Wechselmodell als Wohnarrangement in Deutschland und international zunimmt“, sagt Michaela Schier. In Belgien und Italien ist das Wechselmodell schon jetzt die Norm. Schier ist sozialwissenschaftliche Geographin und untersucht, wie die Schäfers und andere Familien nach einer Trennung wohnen. Sie hat dazu ein Forschungsprojekt am Deutschen Jugendinstitut (DJI) geleitet. Denn das Residenzmodell entspricht nicht mehr der Lebensrealität vieler Eltern. Väter, die sich vor der Trennung viel um ihre Kinder gekümmert haben, sehen nicht ein, zum Wochenendpapa degradiert zu werden, nur weil sie sich mit der Mutter des Kindes nicht mehr verstehen. Und Mütter, die arbeiten gehen, müssen dann Kind und Job allein vereinbaren und fordern vom Ex-Partner mehr Engagement bei der Erziehung ein.

Eine Rolle spielt auch das Recht: Seit 1998 bekommen Mann und Frau in der Regel das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder, vorher wurde es meist der Mutter zugesprochen. Auch unverheiratete Partner verständigen sich nach einer Trennung oft darauf. Durch ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs dürfen Familiengerichte nun auch in Deutschland das Wechselmodell anordnen.

Welches Modell Eltern umsetzen, hängt auch davon ab, wie weit sie auseinander leben. Laut einer DJI-Studie wohnten die Eltern in mehr als einem Drittel der Fälle nach der Trennung im selben Ort, in knapp 14 Prozent der Fälle konnten die Kinder innerhalb von 15 Minuten zu Fuß von Mutter zu Vater laufen. „Einige Eltern haben uns erzählt, dass sie ganz bewusst in dieselbe Nachbarschaft gezogen sind, weil sie ein Wechselmodell leben wollten“, berichtet Schier. „Die Eltern haben zum Teil gemeinsam Wohnungen gesucht, ums Eck oder sogar im gleichen Haus.“ In 42 Prozent der Fälle waren die Wohnungen zwar in verschiedenen Kommunen, aber innerhalb einer Stunde Fahrzeit erreichbar, bei 23 Prozent überschreitet die Wohnentfernung eine Stunde Fahrtzeit – für sie kommt vor allem das Residenzmodell in Frage.

Der Trend geht zum zweiten Kinderzimmer

Wenn nach einer Trennung aus einem Haushalt zwei werden, steigt der Bedarf an Wohnungen. Wer das Nestmodell wählt, braucht sogar drei Unterkünfte – eine für die Familie, eine für die Mutter, eine für den Vater. Schier berichtet von einem Vater aus Deutschland, der für die Besuche seiner Tochter in Spanien ganzjährig eine Wohnung vor Ort gemietet hat. Geld spielt für diese Familie keine Rolle, für die meisten anderen schon. Der höhere Raumbedarf macht das Wohnen für getrennte Familien teurer – auch das Leben als Patchworkfamilie muss man sich leisten können. Nicht selten werden Familien nach einer Trennung ärmer, weil die Lebenshaltungskosten für beide Seiten steigen, gerade in den Großstädten mit horrenden Mieten. „Für viele verschlechtert sich die Wohnsituation nach einer Trennung erst mal, häufig für den Elternteil, der auszieht, manchmal auch für beide, weil es ökonomische Einschnitte gibt und einer allein die Wohnung nicht halten kann“, sagt Schier.

Außerdem brauchen Familien größere Wohnungen, wenn sie sich trennen. Insgesamt steigt der Bedarf an Wohnfläche und Wohnungen also auch deshalb, weil immer mehr Familien in Trennung oder als Patchworkfamilien leben. Viele Väter mieten mehr Quadratmeter, damit ihre Kinder ein eigenes Zimmer bekommen – auch wenn sie nur jedes zweite Wochenende bei ihnen wohnen. Da Wechselmodelle beliebter werden, verstärkt das den Trend zum Kind mit zwei Kinderzimmern. Besonders Patchworkfamilien benötigen viel mehr Platz, wenn sie zusammenziehen. So war es bei den Schäfers. Frau Schäfer und ihr neuer Partner brauchten auf einmal vier Kinderzimmer: jeweils eines für ihre jüngste Tochter und den Sohn ihres Freundes, die hauptsächlich bei ihnen wohnen, eins für ihre ältere Tochter, die jedes zweite Wochenende dazukommt, und eins für seine Tochter, die nur hin- und wieder da ist.

Das eigene Kinderzimmer dient dabei nicht nur zum Schlafen und Spielen, es erfüllt eine wichtige symbolische Funktion: „Gerade für Eltern, deren Kind nur selten Zeit bei ihnen verbringt, ist es wichtig, dem Kind so zu zeigen: ,Ich hab dich lieb, du gehörst zu uns, du bist auch hier zu Hause!‘“, betont Schier. „Wohnraum fungiert häufig als Anzeiger von Liebe.“ Kinder bleiben durch ihre Zimmer auch dann beim Elternteil oder in der neuen Familie präsent, wenn sie nicht da sind. Gerade für Patchworkfamilien ist es schwierig, kein Kind durch die Aufteilung der Zimmer zu benachteiligen. Kommen neue Geschwister hinzu, gibt es Konkurrenz um Räume: Wer hat das Recht, wo zu sein, wer gehört dazu, wer darf was mitgestalten? „Oft verbringt ein Kind mehr Zeit in dieser Familie als das andere. Hier ist entscheidend, wie die Eltern die Wohnsituation kommunizieren, damit sich das Kind als Familienmitglied fühlt und nicht nur als Besucher“, sagt die Geographin. „Kinder spüren sehr genau, wenn ihnen vermittelt wird: ,Für dich ist hier kein Raum.‘“

Als Frau Schäfer und ihre neue Familie in Berlin ein größeres Haus suchten, achteten sie sehr darauf, dass alle vier Kinder gleich große Zimmer bekommen. Außerdem haben sie Elisa in die Planungen einbezogen, sie durfte die Küche mit auswählen und ihr Zimmer einrichten. Andere Familien nehmen Kinder, die weniger bei ihnen leben, mit auf Wohnungssuche oder renovieren gemeinsam. „Das hilft Kindern, sich mit diesem Ort zu identifizieren, das Gefühl von Zuhause zu fördern“, meint Schier.

Bauprojekte für Patchworkfamilien Mangelware

Obwohl es immer mehr getrennte Familien gibt, werden ihre Bedürfnisse wenig berücksichtigt, wenn es darum geht, welcher Wohnraum geschaffen und wie gebaut wird. Zwar existieren im kommunalen Wohnungsbau Angebote, vor allem für Frauen. Ein Beispiel ist das Wohnprojekt „Frida“ aus Nürnberg. Hier haben alleinerziehende Mütter eine Hausgemeinschaft gegründet. Sie bewohnen kleine Einheiten, kochen in Gemeinschaftsräumen, spielen mit den Kindern und teilen sich die Betreuung. Den speziellen Bedarf von Patchworkfamilien erfüllen aber wenig Bauprojekte. Kostengünstige Wohnprojekte mit flexibel nutzbaren Räumen in kindergerechtem Umfeld sind in Großstädten Mangelware.

Eine Ausnahme ist das Bauprojekt „Oase 22“ in Wien. Der Bauträger Buwog hat gezielt Wohnungen für Patchwork-Familien geschaffen: Zwei getrennte Wohnungen werden über einen „Schaltraum“ verbunden, der als Spiel-, Kinder-, Ess- oder Wohnzimmer genutzt wird. „Die Nachfrage nach Wohnungen, die speziell für Patchworkfamilien und andere Formen von Lebensgemeinschaften und Partnerschaften geeignet sind, wächst stetig“, heißt es von Buwog. Meist fragten diese Familien Mietwohnungen nach, weil sie die neue Wohnlösung erst einmal ausprobieren wollen, bevor sie etwas kaufen.

Auch in Deutschland suchen Wohngruppen und Architekten nach Wohnungstypologien, die zu neuen Familienstrukturen und ihren Bedürfnissen passen. In München hat die Baugenossenschaft Wagnis gemeinsam mit den Architekturbüros Bogevisch, Schindler und Hable das Bauprojekt wagnisART realisiert und dafür den Deutschen Städtebaupreis 2016 bekommen. Es besteht unter anderem aus Wohn-Clustern mit jeweils fünf bis zehn Einheiten. So kann eine Mutter mit ihrem Kind ein Appartement mit Küchenzeile und Bad bewohnen, ihr Partner mit seinem Kind ein anderes – und trotzdem trifft sich die Patchworkfamilie in der Gemeinschaftsküche, im Ess- und Wohnzimmer. Andere Wohnprojekte bieten Besucherappartements, in die Mutter oder Vater ziehen können, wenn sie aus einer anderen Stadt zu Besuch kommen. In den Niederlanden gehen einige Paare angeblich sogar dazu über, neue Appartements mit extra Einliegerwohnungen zu bauen, damit ein Elternteil im Fall einer Trennung zwar auszieht, aber nicht gleich wegziehen muss. Verbindende Elemente wie Treppen und Türen geschickt in den Grundriss zu integrieren, Wohnräume zu schaffen, die sich durch Schiebewände flexibel trennen und miteinander verbinden lassen – all dies ist noch immer mehr Avantgarde als Alltag. Doch wie auch immer Familien gemeinsam wohnen, gut ist, dass sie es tun. Zusammen ist man weniger allein.

02.03.2017, von Anne-Christin Sievers
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/immobilien/wohnen-im-patchwork-mein-dein-unser-zuhause-14893375.html
Tags; Gleichberechtigung Gleichstellung – Kindeswohl – Wien – Justiz – Richter – Kinderbetreuung – Österreich – Menschenrechte EGMR – Obsorge – Sorgerecht – gemeinsame – elterliche Sorge – Doppelresidenz

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