Sorge vor Missbrauch in Massenunterkünften
Erneut hat die Polizei heftige Tumulte in der Asylbewerberunterkunft in Schneeberg schlichten müssen. Diesmal zum Schutz eines Kindes. Kein Einzelfall, sagen Experten.
Schneeberg/Chemnitz.
Kindesmissbrauch
Es war gegen 22.30 Uhr, als die Polizei am Donnerstagabend mit 18 Beamten in die Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Schneeberg ausrücken musste. Es gebe größere Tumulte unter bis zu 80 Heimbewohnern, lautete die Erstinformation durch den Sicherheitsdienst des Objektes.
Die Beamten trafen 70 bis 80 Asylbewerber in „aufgeheizter Stimmung“ an. Sie versuchten zunächst, die Lage zu beruhigen, um dann mehr über die Hintergründe des Aufruhrs zu erfahren. Schilderungen von Zeugen hätten bei den Beamten den Verdacht erhärtet, dass ein sechsjähriger syrischer Junge, der mit Familienangehörigen im Heim lebt, sexuell missbraucht werden sollte. Weil er sich gegen den versuchten Übergriff im Keller eines Wohngebäudes mit Schreien zur Wehr setzte, sei er offenbar vom vermeintlichen Täter geschlagen worden. Die Schreie hätten andere Heimbewohner auf den Plan gerufen, sagte Polizeisprecherin Jana Kindt gestern. Der Junge sei körperlich unverletzt geblieben.
Vermeintlicher Tatort: der Keller
Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um einen 30-jährigen Mann aus dem Irak, der zunächst versucht hatte, sich zu verstecken. Daraufhin wurde er in mehreren Etagen des Gebäudes gesucht und in einem Zimmer schließlich entdeckt. Die Beamten nahmen ihn in Gewahrsam, mussten ihn aber zugleich vor der aufgebrachten Menge schützen, die versuchte, seiner habhaft zu werden. Er wurde auf eine Polizeidienststelle gebracht. Gegen ihn wird wegen des Versuchs des sexuellen Missbrauchs ermittelt. „Die bereits durchgeführte Vernehmung des sechsjährigen Kindes hat den Anfangsverdacht erhärtet“, sagte die Sprecherin.
Die Unterkunft in einer früheren Schneeberger Bundeswehrkaserne gehört zu den größten Erstaufnahmeeinrichtungen in Sachsen. Auf dem Gelände sind aktuell rund 1000 Menschen untergebracht. Bisher wurde dort noch kein Vorfall dieser Art bekannt, so die Polizei.
Zahlen zu sexuellen Übergriffen in Flüchtlingsunterkünften gibt es bislang aus keinem Bundesland. Allerdings wurden in den vergangenen Wochen aus Unterkünften in verschiedenen Regionen sexuelle Übergriffe besonders auf Frauen vermeldet, darunter in Bayern und Berlin. Der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Hessische Frauenrat berichteten kürzlich von Übergriffen, Vergewaltigungen und Zwangsprostitution in der Erstaufnahme in Gießen. Dort leben aktuell rund 6000 Flüchtlinge unter extrem beengten Verhältnissen.
Hohe Dunkelziffer vermutet
Verschiedene Frauenverbände und Asylanwälte fordern deshalb, Frauen komplett aus Gemeinschaftsunterkünften herauszunehmen. Juliane von Krause, Geschäftsführerin von Stop dem Frauenhandel GmbH aus München schätzt, dass ein Großteil der allein reisenden Frauen schon vor und während der Flucht zu Opfern von Zwangsprostitution oder anderen sexuellen Übergriffen geworden ist.
Die Bedingungen in den Unterkünften alarmierten auch den Bundesbeauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig. „Ich bin in größter Sorge, dass Flüchtlingskinder in Zeltlagern, Turnhallen oder ehemaligen Kasernen nicht ausreichend vor sexuellen Übergriffen geschützt sind“, sagte Rörig in einem Spiegel-online-Interview. Gemeinschaftsunterkünfte seien keine geeigneten Lebensorte für Kinder. „Intimität, kindgerechte Räume, Sprachvermittlung und Kultursensibilität sind vielfach nicht gewährleistet.“
Rörig räumt ein, dass er von einer hohen Dunkelziffer ausgeht. Möglicherweise würden die Missbrauchsfälle sogar zunehmen, je länger Menschen in großer Anzahl auf engem Raum untergebracht sind. Da viele Flüchtlinge aus Ländern kämen, in denen das Vertrauen in die Polizei und staatliche Einrichtungen nicht groß sei, schreckten sie auch in Deutschland davor zurück, Übergriffe anzuzeigen. „Hinzu kommt, dass viele Flüchtlinge befürchten, dass die Meldung von einem Übergriff Einfluss auf ihr Asylverfahren haben könnte.
http://www.freiepresse.de/NACHRICHTEN/SACHSEN/Sorge-vor-Missbrauch-in-Massenunterkuenften-artikel9349281.php